So., 18.04.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Brasilien: Gegen die Pandemie – mit lokaler Währung
Pandemie-Sorgen haben sie an dieser Atlantik-Küste kaum. In Maricá – einer 160.000 Einwohner-Stadt – klagt fast niemand über die wirtschaftliche Lage. Nicht einmal in einem der Armenviertel. Hier muss Leia Oliveira ihre beiden Enkelinnen ernähren. Der 65-Jährigen gelingt das dank der digitalen Lokal-Währung Mumbuca, in der sie ihre Sozialhilfe ausgezahlt bekommt. "Die Finanzhilfen in unserer Mumbuca-Währung sind klasse. Es gibt sie schon lange. Aber jetzt in der Pandemie wurde diese Sozialhilfe erhöht – auf umgerechnet 50 Euro pro Person. Das hilft!" Seit Leias Sohn bei einem Unfall starb, ist sie für dessen Töchter verantwortlich.
Der Mumbuca – zusätzliche Sozialhilfe für alle
Ohne die Mumbuca-Sozialhilfe käme sie nicht über die Runden. Jetzt – in der Pandemie – zahlt die Stadt insgesamt 150 Euro pro Monat an die gesamte Familie. Damit kann Leia Obst, Gemüse und Reis kaufen. Alkohol und Zigaretten gibt es für Mumbuca nicht – eine der Beschränkungen der Lokal-Währung, die viele hier wie eine Kreditkarte nutzen. "Derzeit ist es schwierig, eine Arbeit zu finden. Weil ich für meine Enkelinnen verantwortlich bin, danke ich dem Bürgermeister dafür, dass er die Mumbuca-Hilfen während der Pandemie aufgestockt hat."
Der Mumbuca – zusätzliche Sozialhilfe für alle, die seit mindestens fünf Jahren in Maricá leben. In der Mumbuca-Bank ist die Idee entstanden. Das Ziel: Die Lokalwährung soll den Ärmsten helfen, die lokale Wirtschaft stärken und: verhindern, dass öffentliches Geld versickert. Wer sich registriert, kann neben der Sozialhilfe auch einen Kredit in Mumbuca erhalten, zinsfrei. "Ohne Mumbuca ginge es Maricá wie allen anderen Städten in Brasilien: Wir würden in Schwierigkeiten stecken. Bei uns aber boomen seit Pandemie-Beginn die Geschäfte in der Lokalwährung", erzählt Manuela Mello, Präsidentin der Mumbuca-Bank.
Investition in die Lebensqualität der Einwohner
Fast alle Geschäfte in Maricá akzeptieren den Mumbuca. Er entspricht eins zu eins der Landeswährung Real. Auch sonst steuert die Stadt Maricá ziemlich problemlos durch die Pandemie. Das neue Krankenhaus "Ernesto "Che" Guevara" wurde just zu Beginn der Virus-Krise eröffnet.Weil dadurch in Maricá 116 zusätzliche Corona-Intensivbetten zur Verfügung stehen, haben sie sich bereit erklärt, ihren Nachbargemeinden zu helfen. "Fast die Hälfte unserer Patienten wurde aus anderen Gemeinden hierher verlegt. Unser Krankenhaus hat eine strategische Bedeutung für die Versorgung der gesamten Region", erklärt Direktorin Michelle Silvares.
Sie zahlt sich offernbar aus – Maricás Investition in die Lebensqualität der Einwohner. Das neue Kino kostet keinen Eintritt. Auch Leihfahrräder sind gratis, ebenso wie der Stadtbus. Auf 30 Linien kann sich jeder ohne zu zahlen durchs Stadtgebiet chauffieren lassen.
Einnahmen aus Ölvorkommen werden reinvestiert
Doch wie finanziert die Stadt all das? Die Lösung liegt nahe – vor Maricás Küste unter dem Meeresspiegel. Dort draußen befinden sich gewaltige Ölvorkommen, die Brasiliens Regierung fördert. Als Entschädigung erhält die Stadt jährlich 150 Millionen Euro. Ein warmer Geldregen für die Stadtkasse, den sie direkt reinvestieren – in die Lebensqualität der Einwohner.
Bürgermeister ist Fabiano Horta, ein Linker, der zuletzt mit 90 Prozent wiedergewählt wurde, auch von Fans von Präsident Jair Bolsonaro. Weil er hier eine Sozialpolitik wie in Kuba umsetzt. "Maricá hat sich – anders als der Rest Brasiliens – ungewöhnlich gut entwickelt. Wir haben sogar in der Pandemie die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs erhöht. Der Grund dafür sind die vielen Notfall-Programme, die wir aufgelegt haben", erklärt Horta.
Neben der Sozialhilfe gab es auch Unterstützung für Betriebe, wie für ein das Crossfit-Studio von Robson Perreira. Monatelang mussten sie schließen und ein Hygienekonzept ausarbeiten. Dafür gab es früh Entschädigungen von der Stadt – unter einer Bedingung: Der Geschäftsführer musste seine vier Angestellten weiterzahlen und darf sie nicht entlassen. "Dank der Hilfen konnte unser Betrieb überleben. So haben wir Miete und Gehälter weiter gezahlt. Wir sind ein Familienbetrieb", sagt Robson Perreira.
Und so schauen sie in Maricá optimistisch in die Zukunft, trotz Pandemie.
Autor: Matthias Ebert, ARD-Studio Rio de Janeiro
Stand: 18.04.2021 20:27 Uhr
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