So., 28.04.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Katalonien: Streit auf der Straße, Stillstand in der Politik
Die politische Auseinandersetzung mit der Zentralregierung in Madrid lähmt Katalonien inzwischen seit mehr als anderthalb Jahren. Viele der notwendigen Infrastruktur-Projekte wurden gestoppt, selbst dringende Investitionen werden nicht umgesetzt. Es herrscht Stillstand in Katalonien – auch bei der Feuerwehr: "Die Wagen, die wir hier haben, sind 18 Jahre alt. Seit drei Jahren sind die Haushaltsmittel eingefroren. In Katalonien wartet die Feuerwehr auf 92 neue Fahrzeuge. Aber wenn sie das Geld nicht zur Verfügung stellen, müssen wir mit dem leben, was wir haben", sagt Feuerwehrmann Manuel Titus.
Ein eingefrorener Haushalt in Katalonien. Auf der Wache in Cerdanyola, nördlich von Barcelona, zeigt uns Feuerwehrmann Manuel Titus, was das bedeutet: "Unser Trainingsraum hat immerhin neue Geräte, vorher hatten wir welche, die waren 30 Jahre alt. Aber um zu sehen, wie die Wachen aussehen: Hier wird schon lange nicht mehr investiert. Weder ins Gebäude, noch in die Ausrüstung. Und deshalb lässt das hier alles sehr zu wünschen übrig."
So viel altes Material – schon bei zwei Einsätzen zur selben Zeit wären sie überfordert, sagen die Feuerwehrleute im katalanischen Cerdanyola.
Katalonien: Zwei Probleme, eine Ursache
Über den Stillstand in Katalonien klagen die einen. Andere fordern derweil von der spanischen Justiz die Freilassung katalanischer Politiker. Zwei Probleme, eine Ursache:
Am 1. Oktober 2017 findet in Katalonien ein Referendum statt. Separatisten wollen nicht länger zu Spanien gehören. Die Unabhängigkeitsbefürworter ignorieren mit dem Referendum die Verfassung. Die spanische Zentralregierung schreitet ein. Versucht, die Abstimmung zu verhindern, übernimmt schließlich die Kontrolle in Barcelona. Katalanische Regierungsvertreter werden später verhaftet und wegen Rebellion angeklagt. Regierungschef Charles Puigdemont flieht nach Belgien. Es gibt Neuwahlen. Und: Separatistische Parteien gewinnen erneut die Mehrheit. Einen Haushalt haben sie jedoch seit 2017 nicht verabschiedet.
Katalanischer Regierungschef: Unabhängigkeit ist das Ziel
Wer im Regierungssitz in Barcelona in diesen Tagen mit dem Aufzug nach oben fährt, sieht was den katalanischen Regierungschef Joaquim Torra politisch umtreibt: Die Freilassung inhaftierter katalanischer Politiker und die Unabhängigkeit Kataloniens. "Ich bin Präsident in einer außergewöhnlichen Situation. Entscheidungen werden hier getroffen. Mit allen Konsequenzen. In dieser Legislaturperiode geht es von Beginn an darum: Am 1. Oktober haben die Leute für die Unabhängigkeit gestimmt. Und das ist unser Auftrag!" Unabhängigkeit ist weiterhin sein wichtigstes Ziel.
Für die Ärztin Elena Bertoluzzi heißt das: Nach Feierabend auf der Straße hat sie mehr Zeit für Patientinnen als in der Sozialstation. Es fehlen nämlich Ärzte. Die Regierung müsse endlich mehr Personal einstellen, sagt sie. Das Ringen um die Unabhängigkeit lähmt Katalonien. "Es gibt grundsätzliche öffentliche Aufträge – wie das Gesundheitswesen, Erziehung und Bildung, die sollten nicht von den Entscheidungen der Regierung abhängen. Fakt ist: Sowohl in der katalanischen wie spanischen Regierung werden keine Entscheidungen getroffen. Sie sind paralysiert", sagt Elena Bertoluzzi.
Ein Dialog scheint unmöglich. Zuletzt waren es auch separatistische Abgeordnete aus Katalonien, die den spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez scheitern ließen. Sie lehnten den Haushaltsentwurf seiner Minderheitsregierung ab. Deshalb gibt es jetzt die Neuwahl. Sanchez hatte Katalonien Investitionen von rund zwei Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Doch das reichte den Separatisten nicht. Ihre Wahlkampfveranstaltungen finden symbolträchtig vor Gefängnissen statt.
Auch mehr als zwei Jahren nach dem illegalen Referendum zeigen viel Katalanen, dass sie Spanien abschütteln wollen: Mit Flaggen, Solidaritätsschleifen für inhaftierte Politiker. Oder Kennzeichen mit dem illegalen Kürzel CAT für Katalonien.
Konflikt ist Treibstoff für Nationalismus
Wie zum Trotz hängen von Balkonen in Madrid wiederum Spanien-Flaggen. Das gab es vor der Katalonien-Krise nicht. Der Konflikt ist Treibstoff für Nationalismus – auch auf spanischer Seite: Die ultrarechte Partei Vox wirbt im Wahlkampf für urspanische Traditionen wie den Stierkampf und sie will Abtreibungen verbieten. Und sie fordern gleich am Eingang ihrer Parteizentrale: "Charles Puigdemont ins Gefängnis!" – der in Belgien lebende katalanische Ex-Präsident. "Man kann nicht mit jemandem verhandeln, der keine Einigung möchte. Die Separatisten in Katalonien haben im Laufe der Jahre bewiesen, dass sie nie zufrieden sein werden. Das liegt in ihrer Natur", sagt Iván Espinosa de los Monteros.
Die Wut vieler Menschen auf die katalanischen Separatisten wird Vox wohl ins spanische Parlament befördern.Tritt die Partei allerdings in Barcelona auf, kommt es zu wüsten Beschimpfungen: "Ihr verdammten Faschisten. Verpisst Euch!", "Ihr könnt mit Pistolen kommen, aber hier erreicht ihr gar nichts!"
Margarita Zamora und Pedro Santiago beobachten die Szenen. Jahrzehnte haben sie im westfälischen Lippstadt gelebt und gearbeitet. Eigentlich wollten sie jetzt zurück nach Barcelona, in die Heimat. "Ich wollte zurückkommen. Ich habe meine ganzen Möbel hergebracht. Aber wenn ich dieses Theater sehe – ich überlege noch. Ich habe die Wohnung in Lippstadt noch einmal möbliert. Jetzt sind wir zwei Monate hier, zwei da. Mal gucken, was am Ende kommt", sagt Margarita Zamora.
Katalonien vor der Wahl: Streit auf der Straße, Stillstand in der Politik.
Autor: Sebastian Kisters, ARD-Studio Madrid
Stand: 28.04.2019 20:21 Uhr
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