Gespräch mit Axel Milberg

spielt Klaus Borowski

Können bisher nur Spekulationen zum Verschwinden Toby Exners anstellen: Klaus Borowski (Axel Milberg) und Mila Sahin (Almila Bagriacik).
Können bisher nur Spekulationen zum Verschwinden Toby Exners anstellen: Klaus Borowski und Mila Sahin. | Bild: NDR / Thorsten Jander

Klaus Borowski käme nie auf die Idee, sich ein Verbrechen auszudenken. Die Wirklichkeit ist ja schon voll von Geschichten. Auf der anderen Seite kann ein bisschen Fantasie nicht schaden. Schließlich versuchen Täter ja auch alles, um ihre Geschichten geheim zu halten. Borowski spielt gern und es macht ihm nichts aus, auch Spiele mitzuspielen, deren Regeln ihm vorgegeben werden. Zunehmend lässt Klaus Borowski seiner Intuition freien Lauf. Dass er dabei hier und da eine rote Linie überschreitet, nimmt er in Kauf.

Sein Fall führt ihn zu den Exners. Eine spezielle Familie: reich, einflussreich, vernetzt. Auch Borowskis Freund und Chef Schladitz verkehrt in ihren Kreisen. Aber es ist weniger Vorsicht als eben Spielfreude, wenn Borowski ihnen in den Hintern kriecht, wie Mila Sahin kopfschüttelnd feststellt. Wichtig ist nur, was man findet. Außerdem ist es immer gut, wenn die anderen denken, dass sie klüger sind als du.

Borowskis hat über die Jahre immer mehr die Fähigkeit entwickelt, sich einzulassen. Zum Beispiel auf Greta Exner, deren Traurigkeit und Sehnsucht er nicht nur in ihren Fotos von verlassenen Orten erkennt. Verdacht und Mitgefühl sind keine Widersprüche mehr. Auch seine Haushälterin erkennt in Borowski einen Mann der guten Kategorie. Er ist es wert, dass sie ihm über ihre Pflichten hinaus ein Frühstück macht – und sich dazusetzt, auf Augenhöhe. Wenn Borowski zuhört, hört er wirklich zu. Das gilt für Verdächtige wie für Freunde. Vor allem in der Nähe lüften sich die Geheimnisse.

Gespräch mit Axel Milberg

Der Fall spielt mit dem Mythos vom Wiedergänger, der z. B. das Opfer eines ungesühnten Verbrechens sein konnte. War Ihnen dieser Mythos ein Begriff?

Nicht auf den ersten Blick. Aber ja, die Gestalt im Turm, am Fenster, knarrende Dielen, das Mädchen im Nachthemd, Untote, die keine Ruhe finden, weil ihr gewaltsamer Tod nicht gesühnt wurde. Da fällt mir manches Schlossgespenst ein, vor allem aus dem angelsächsischen Raum. Der fliegende Holländer, ertrunkene Seeleute, Zombies, Gespräche mit dem Jenseits. Alles ist unsere Fantasie, die sich nicht mit einem endgültigen Ende abfinden kann.

Was erfährt der Menschenkenner Borowski, wenn er Gretas Fotoband mit den zumeist menschenleeren Bildern der Lost Places anschaut? Hilft ihm das weiter?

Lost places, ein gängiger Begriff seit einigen Jahren, werden aufgesucht und ihre Geschichte erzählt. Da gibt es im Raum Kiel sicher einiges. Ein ehrliches künstlerisches Talent in Schwarzweiß. Spürt Borowski schon ihre Nähe zu einem dunklen Abgrund? Ein guter Anlass, ein unverfängliches Gespräch zu beginnen. Über Tod, Einsamkeit, Ehe und Familie.

Gretas Sehnsucht, um ihrer selbst Willen geliebt zu werden, erweist sich als Illusion. Trifft sie die Demütigung besonders hart, weil diese Sehnsucht die einzige verwundbare Stelle der erfolgreichen und wohlhabenden Frau ist?

Jeder will ja um seiner selbst geliebt werden. Das Milieu, das hier angedeutet wird, ist aber zu zynisch-abweisend: Geld, Leumund, illegale Transfers, da stehen die Figuren wie bei einer Familienaufstellung, hyperrealistisch gezeichnet. Sie selbst ist vereinsamt, schwach, macht alles falsch.

Sind wir nicht nur vor dem Gesetz, sondern auch vor unseren verletzten Gefühlen alle gleich? Oder gibt es da Klassenunterschiede?

Egal wie reich oder wo auf der Welt, auch bei unterschiedlichen Backgrounds empfinden die Betrogenen Verrat und Kränkung gleich stark. Ist viel Geld da, ist da auch noch das Misstrauen, bin ich selber eigentlich gemeint oder mein Vermögen und mein Lifestyle.

Wenn Borowski Tobys Geist „aktiviert“, spekuliert er auf Gretas schlechtes Gewissen. Woher weiß er, dass sie eines hat?

Er ist sich nicht sicher, denke ich. Er versucht’s halt. Die Geister, die sie rief, also ihre erfundene virtuelle Identität, hat sie ja schon mit Spielen im Netz vertraut gemacht.

Während Greta offenbar glaubt, eine Art Beziehung zu Borowski zu haben oder ihn gar um den Finger wickeln zu können, bringt er sie am Ende mit einer geradezu schurkischen Volte an ihre psychischen Grenzen und zur Strecke. Hat der feinsinnige Borowski etwa eine sadistische Ader?

Borowski lässt sich gerne unterschätzen. Manchmal scheint er nur halb bei der Sache zu sein. Fragt leise, schreibt dann und wann was auf. Guckt ins Wesenlose. Und plötzlich ist er unmittelbar vor der Aufklärung. Hin und wieder ist er kurz vor einer Freundschaft mit der Verdächtigen oder dem Mörder, aber dann trennen sich ihre Wege – leider – wieder

War die Borowski-at-his-best-Schlusspointe – da der Vermisste nicht zu finden ist, könnte er ja noch leben und SMS schreiben – von Anfang an klar?

Hier spiegelt er eigentlich nur ihr Verhalten. Sie gibt sich im Netz für jemanden aus, wodurch ihr Ehemann zum Betrug verführt wird, sie verrät und dadurch von ihr zur Strecke gebracht wird. Borowski gibt sich ebenfalls für jemanden aus, der nicht – mehr – existent ist und bringt sie zur Strecke.

Borowski schließt den alten Volksglauben vom Wiedergänger mit dem modernen Kommunikationsmittel Handy kurz. Worauf beruht die gespenstische Macht elektronischer Nachrichten?

Da ist die Einsamkeit, die Sehnsucht und dann kommt das Angebot. Ein Algorithmus, der uns genau das anbietet, wovon wir träumen; der uns an fremde Orte bringt, die gefährlich sind. Am Bildschirm vergessen manche die nötigen Schutzmaßnahmen. Sie überprüfen die Quelle nicht und nicht das, was sie dem Worldwide-Web anvertrauen.

Sascha Arango ist bekannt dafür, dass er sich besonders für die Perspektive der Täter*innen interessiert. Kommt das Ihrem Anspruch an einen Krimi entgegen?

Der Zuseher weiß in den Geschichten von Arango immer mehr als die Ermittler. Er kennt den Täter oder die Täterin und so gibt es eine zusätzliche Spannungsebene: „Vorsicht, hinter dir steht sie und lächelt dich an! Achtung Borowski, pass auf, du sprichst gerade mit dem Mörder“ usw. Außerdem lernen wir Milieu und Motive genauer kennen, die Familie des Verbrechers, seine Fluchten, Ausreden und Einfälle. Das bliebe nur angedeutet, wenn der Zuschauer ausschließlich mit den Ermittlern unterwegs ist.

Gibt es Unterschiede zwischen Tätern und Täterinnen? Morden Frauen anders und aus anderen Motiven als Männer?

Morden sie vielleicht achtsamer? Das Klischee wird von der Statistik bestätigt: Mit Gift oder im Schlaf wird die vorsätzliche Tat durch Täterinnen eher begangen als z. B. mit der Kettensäge. Weniger grausam und weniger blutig. Die Frau will „loswerden“, nicht Macht ausüben. Es gibt wenige Ausnahmen.

Warum sind TV-Krimis in Deutschland eigentlich so zuverlässig beliebt? Haben Sie eine Vermutung?

Oft gefragt, ebenso oft darüber nachgedacht: Der Krimi findet immer sein Publikum. Im Buch, im Film, im Gesellschaftsspiel. Als Egoshooter aktiv oder passiv auf dem Sofa. Das Erleben simulierter Gefahr ist schon bei Aristoteles beschrieben als Furcht und Schrecken, kann vom Arzt als etwas Reinigendes empfohlen werden, zumal die Bedrohung und der Horror eingebettet sind in die Gewissheit, es ist nur „als ob“. Aber wir sind nicht nur ausgeliefert. Sicher will man in Gedanken auch auf die Täterseite wechseln. Rachegefühle, Wut oder Besitzgier kennen wir auch! Wie sagte Borowski einmal: „Nicht, dass so viele Morde begangen werden, ist erstaunlich, sondern dass es so wenige sind.“

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