Gespräch mit Almila Bagriacik
spielt Mila Sahin
Mila Sahin hat gern Klarheit. Versucht sie mit Borowski Mordfälle aufzuklären oder arbeitet sie neuerdings für die Vermisstenstelle? Und wenn Borowski und sie schließlich von einem Mord ausgehen, warum sollen die Ermittlungen auf einmal abgegeben werden? Im Fall des vermissten oder ermordeten Toby Exner hat Mila Sahin schließlich ein bisschen gegen ihre Überzeugung eine enorme Flexibilität entwickelt. Während Borowski sich – natürlich rein ermittlungstaktisch – bei der furchtbar unsympathischen Industriellenfamilie Exner anbiedert, entdeckt Sahin die Entertainerin in sich. Mit Witzen und flotten Sprüchen wiegt sie die arroganten Superreichen in Sicherheit. Die unangenehmen Fragen können noch warten.
Mila Sahin ist auch insgesamt gelassener geworden. Mit Borowski verbindet sie neben Konkurrenz nun auch eine große Portion Kollegialität. Dessen psychologische Neugier ist zwar immer noch nicht ganz ihr Fall, aber immerhin schaut sie mit weniger Wut, dafür mit etwas Ironie und einem Kopfschütteln auf die Ungeheuerlichkeiten der menschlichen – und das heißt meistens: der männlichen – Natur. Werte wie Respekt, Verantwortungsgefühl, Treue? Ein rares Gut, nicht nur im ExnerUniversum. Aber immerhin: Manchmal, wenn sie denkt, dass alles vorbei ist, stellt sich ihre Sicht der Dinge als überraschend real heraus.
Gespräch mit Almila Bagriacik
Sahin tritt dieses Mal oft ironisch distanziert, humorvoll schlagfertig oder süffisant auf. Hat es Sie gefreut, diese Seite zeigen zu können? Und warum gibt gerade dieser Fall das her?
Ich fand es genial, dass Sahin diese Seite mal zeigen durfte! Natürlich macht sie das nur, um sich in die Gespräche einzuladen und die Eltern zum Sprechen zu bringen. Sie interviewt diese Menschen ja eigentlich. Das ist eine schöne Tarnung, die mit Humor funktioniert.
Bei Sahin ist ein gewisser Widerwille gegen das Unternehmer-Milieu erkennbar. Spielt es für sie eine Rolle, wo und gegen wen sie ermittelt?
Sahin hat eine gute Menschenkenntnis. Leute, die meinen, alles mit Geld und Reputation lösen zu können, erkennt sie schnell und kann sie nicht besonders leiden, weil sie eine gewisse Korruption verlangen. Mit solchen Menschen hat Sahin bereits Erfahrungen gesammelt und weiß deshalb umso besser, wie sie sich da reinschleichen muss, um wie eine von ihnen zu wirken.
Borowski kümmert sich mehr um Greta, während sich Sahin vor allem deren Eltern vornimmt. Dabei hat man zeitweise den Eindruck, Borowski könnte Greta auf den Leim gehen, während Sahin einen kühlen Kopf bewahrt und unbeeindruckt die richtigen Schlüsse zieht. Ist das ihre (weibliche) Intuition?
Mit weiblicher Intuition hat das nichts zu tun. Sahin verhört Greta ja auch in einer Szene und realisiert, dass eine gewisse Nervosität den Fragen gegenüber und auch eine Abneigung vorhanden ist. Sahin lächelt das weg: „Dann sprechen Sie bitte mit Borowski.“ Aber sie beobachtet Greta natürlich trotzdem genau. Und Menschen, die nicht kooperativ sind, wenn es darum geht, dass ihr Partner verschollen ist, sind natürlich verdächtig.
Die Kommissare kommen recht spät ins Spiel und körperlich und psychisch vergleichsweise ungeschoren durch den Fall. Aber sie kommen an ihre Grenzen, weil sie lange nicht erklären können, was geschehen ist. Ist diese Frustration schlimmer als die Aufregungen, die sie sonst aushalten müssen?
Solche Vergleiche zu ziehen, ist schwierig. Aber ich kann mir vorstellen, dass es für jemanden wie Sahin anstrengender ist, gegen höhere Mächte zu kämpfen, die es ja auch im Präsidium gibt. Das wahrhaftig Anstrengende ist, wenn sie merkt, dass sie nicht weiterkommt, obwohl sie die Wahrheit kennt oder vermutet. Wenn Unfairness im Spiel ist oder Dinge passieren, die man sich nicht erklären kann, sind das die Momente, wo Sahin wirklich aus der Ruhe gebracht wird.
Warum wird Gretas gescheiterte Ehe zu einem Fall für die Kripo statt für die Juristen? Ist verletzte weibliche Eitelkeit ein so mächtiges Gefühl?
Ich glaube, dass es um ein verletztes Ego geht. Viele böse Taten können aus mächtigen Gefühlen entstehen. Greta ist offenbar sehr darin gefangen. Bevor man so etwas tut, könnte man natürlich einen Therapeuten aufsuchen oder andere Dinge in Erwägung ziehen wie z. B. eine Scheidung. Aber manchmal kommt es eben zu Kurzschluss-Reaktionen und es zeigt sich erst im Nachhinein, was man gemacht hat. Greta wird auf jeden Fall von ihrer Emotion überwältigt.
Verstört Gretas Kälte nicht auch?
Sie ist offensichtlich auch verzweifelt. Sie leidet darunter. Das sehen wir in der Szene mit der Tüte, wenn sie versucht, sich das Leben zu nehmen. Und da scheitert sie auch. Wenn man so etwas durchgezogen hat und im Nachhinein darauf schaut, ist das Ego trotzdem nicht zufriedengestellt.
Ehe Greta die SMS von „Toby“ erhält, joggt sie befreit, als habe sie – nach dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“ – eine glückliche Zukunft vor sich. Wäre ihr das zuzutrauen?
Sie versucht es zumindest. Hätte sie es wirklich überwunden, würde sie aber danach anders reagieren. Sie versucht auf jeden Fall, sich aus den Schuldgefühlen rauszuziehen. Das kann Cordelia Wege, die Greta gespielt hat, natürlich noch viel genauer erklären. Ich finde es bemerkenswert, wie paranoid Greta reagiert und ihre eigene Familie verdächtigt. Das zeigt mir, dass die Kommunikation in der Familie keine gesunde ist; und zwar grundsätzlich nicht. Auch der Moment, wo die Mutter sagt: „Ich wünschte, sie hätte ein Kind bekommen, dann wäre das alles nicht passiert.“
Hätte ein Kind Greta vor ihrer Tat bewahrt?
Auch ein Kind hätte das nicht verhindern können! Es ist ein absoluter Trugschluss, zu glauben, ein Kind könnte irgendetwas retten, was schon brüchig ist. Ich denke auch nicht, dass es sie davor bewahrt hätte, die Tat zu begehen. Ich finde es immer brutal, einem Kind die Aufgabe zu geben, etwas zu retten, indem es auf die Welt kommt. Es ist nicht die Aufgabe von Kindern, Menschen davor zu bewahren, einen Fehler zu machen oder gar einen anderen Menschen umzubringen.
Morden Frauen anders und aus anderen Motiven als Männer?
Ich glaube, dass wir als Menschen zu allem fähig sind. Das Geschlecht ist egal. Ich kann mir theoretisch vorstellen, dass man als Frau einen anderen Stil hat als Männer, aber zu pauschalisieren finde ich immer schwierig. Da gibt es bestimmt Analysen und Statistiken bei der Mordkommission, die habe ich aber nicht studiert.
Sollte es für den „Tatort“ – aus Gründen der Gleichberechtigung – eine Mörderinnen-Quote geben?
Ich wünsche mir auf gar keinen Fall irgendwelche Quoten. Das finde ich immer sehr verkrampft. Ich würde gerne einen natürlichen und selbstverständlichen Blick auf Täterinnen lenken. Ich finde es immer interessant, Täterinnen zu beobachten und zu vernehmen. Auch als Zuschauer finde ich es immer interessant, Täterinnen zu sehen und herauszufinden, aus welchen Impulsen heraus sie morden bzw. was sich die Autorin oder der Autor dabei gedacht haben.
Wenn – gelungener Gag – der „Tatort“-Abspann läuft, täuscht die Folge ein offenes Ende an. Wäre das für Sie eine Option gewesen?
Auf gar keinen Fall und niemals! Ich bin selber Krimi-Fan und als Zuschauer würde mich das total aufregen. Ich finde, ein Krimi sollte – und da bin ich vielleicht auch sehr konservativ – auf jeden Fall abgeschlossen werden. Als ich die Idee gehört habe, dachte ich, „Oh, das ist riskant. Da könnten einige Zuschauer aussteigen und den Fernseher ausmachen und anschließend heißt es, das war ein schlechter ‚Tatort‘.“ Aber als ich das Resultat gesehen habe, war ich beruhigt und irgendwie liebe ich Risiken. Ich finde es toll, wenn man es wagt.
Es gibt Fälle, in denen weder die Kommissare noch die Zuschauer den Täter oder die Täterin kennen. Hier weiß zeitweise niemand, ob überhaupt ein Verbrechen vorliegt. Haben Sie eine Vorliebe für eine bestimmte Konstellation?
Auf jeden Fall. Was ich persönlich sehr mag, ist, gemeinsam mit den Ermittlern herauszufinden, was passiert ist und wer die Tat begangen hat. Ich mag es, ihnen immer eine leichte Spur voraus zu sein, weil man dann die Motivation hat, zum Fernseher zu sprechen und zu sagen: „Nein, du folgst doch dem falschen Hinweis! Es ist Nummer 3! Das ist die Tatwaffe!“ Ich finde es interessant, wenn der Zuschauer sich über den Kommissar stellen kann und es besser wissen könnte. Dann kommt die Auflösung und man kann auch eines Besseren belehrt werden. So hinterlässt man Zuschauer, die mitgefiebert haben und am Ende sagen „Oh, damit habe ich überhaupt nicht gerechnet! Ich war mir so sicher ...“ Ich glaube, dann hat man dafür gesorgt, dass wir alle zusammen Sonntagabend Cluedo gespielt haben. Ich denke, dass es durchaus Zuschauer gibt, die mitmachen möchten, genauso wie ich!
Krimis sind in Deutschland das beliebteste und Publikumsträchtigste Genre. Haben Sie eine These, warum das so ist? Ist das eine nationale Macke?
Ich denke, es ist genau das Gegenteil. Es ist keine Macke, sondern eine Stärke. Krimis sind ein Genre und eine Erzählstruktur, die in Deutschland gelungen sind, die hier gut produziert werden und funktionieren. Deswegen ist es natürlich umso schöner, in diesem Genre eine bleibende Rolle zu spielen.
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