Gespräch mit Andreas Kleinert
Regie
Die Folge vereint das Porträt einer wohlhabenden, erfolgreichen und unglücklichen Frau mit einer eher spielerischen Milieustudie und einem Fall, der sich zeitweise in Nichts auflöst. Was hat Sie an diesem Setting besonders gereizt?
An der Geschichte selbst hat mich natürlich gereizt, dass alles anders ist, als man denkt; dass Schein und Sein so weit auseinander liegen und dass man Spaß daran hat zu entdecken; dass man etwas wissen müsste und trotzdem immer wieder überrascht wird. Ich mag es beim „Tatort“, wenn ich nicht einfach nur eine Ermittlung mitbekomme, sondern in Welten absteige und Charaktere herausbekommen kann, die auch für die Kommissare überraschend sind. Hier konnte man wunderbar Machtverhältnisse darstellen: Das war ein bisschen wie ein Tschechow oder Shakespeare: Es gibt so viele Beziehungsgeflechte; alle sind miteinander verknüpft, obwohl das Ensemble relativ überschaubar ist; und man kann wunderbar morbide Familienverhältnisse darstellen. Man sympathisiert mit einer Figur, die nachher etwas ist, womit man nicht rechnet.
Die Folge spielt in einer Welt, in der eine schicke Fassade (fast) alles ist. Kam es Ihnen entgegen, dass der Boden der Tatsachen hier so wenig trittfest ist?
Ich liebe es, dass man in Filmen damit so wunderbar spielen kann, dass Dinge, die uns so erscheinen, wie sie sind, dann doch ganz anders sind. Film ist immer konkret, weil wir sehen, was wir sehen, und trotzdem kann es uns betrügen; so wie wir heute wissen, dass Bilder uns betrügen können. Damit umzugehen, ist sehr reizvoll. Und trotzdem emotional zu sein! Wäre es nur ein intellektuelles Vexierspiel, fände ich es langweilig.
Der Film hat eine vergleichsweise lange Exposition, die in das toxische Milieu einführt, in dem die Heldin lebt. Warum war Ihnen das wichtig?
Meine Filme sind nie so, dass da eine Leiche liegt und dann findet jemand den Personalausweis und sagt, das ist soundso. Ich finde es immer interessant, wenn man schon etwas weiß über die Menschen und das Milieu, um die es geht. Dann ist es spannender, die Ermittlungen zu verfolgen, weil man etwas weiß, was die Kommissare vielleicht nicht wissen oder umgekehrt. Das finde ich spannender, als wenn ein Toter in einem Sezierraum liegt und aufgeschnitten wird. Ich sehe seine Innereien, aber nicht, was ihn im Innersten bewegt.
Täterin Greta ist auch ein Opfer ihrer Lebensumstände. Zynische Eltern, ein liebloser Ehemann. Als böse empfindet man sie nicht, ihr Umgang mit der Tat verstört aber schon. Ist sie eine verlorene Seele, die sich vergeblich nach Liebe sehnt? Ist sie eine kalte Strategin, deren Eitelkeit tödlich verletzt wurde?
Ich sehe sie auf keinen Fall als kalte Strategin. Ich sehe sie eher wie eine Figur aus einem Ibsen- oder StrindbergStück. Man kann niemals sagen, dass jemand frei von jeder Schuld ist. Wir sind alle handlungsfähig und können uns entscheiden. Trotzdem führen uns Umstände irgendwohin. Es ist schon so, dass viele Dinge um Greta herum sie zu etwas gemacht haben, woraus sie sich schwer befreien kann. Sie versucht ja als Künstlerin und Fotografin, da herauszukommen. Ich habe es natürlich bewusst so gemacht, dass ich alle Sympathien auf sie gebe.
Ist Gretas Ehe ein Versuch, ihrem Milieu und ihren Eltern etwas entgegenzusetzen?
Sie hat natürlich einen Mann genommen, der nicht in dieses System reingehört und reinpasst. Es war schon auch ihr Ziel, ihre Mutter zu ärgern, indem sie bewusst nicht den Bankier oder den Vorstandsvorsitzenden nimmt, sondern jemanden, der ein bisschen schräg ist, der gut aussieht und sicher auch gut im Bett ist und der eine andere Farbe in diese Familie reinbringt. Die Eltern finden ihn natürlich grauenhaft, weil er überhaupt nicht in diese sozialen Verhältnisse passt, aber sie selbst war der festen Überzeugung, dass er ihr gut tut. Und der war auch eine Zeit lang gut für sie.
Gretas Sehnsucht, um ihrer selbst Willen geliebt zu werden, erweist sich als Illusion. Trifft sie die Demütigung besonders hart, weil diese Sehnsucht – aufgrund ihrer sozialen Stellung – ihre einzige verwundbare Stelle ist?
Ich glaube, dass das ein Exit war. So eine Ausgangshoffnung, dass da etwas ist, worauf die Eltern keinen Zugriff haben. Dass das auch nicht funktioniert, so wie sie sich das vorstellt, das ist eine Tragödie für sie. Das bringt sie in diese suizidale Situation, wo sie nicht mehr weiter weiß, und dann sucht sie wieder diese Einfachheit mit ihrem Hausangestellten, weil sie die Hoffnung hat, sich daran zu reinigen und besser zu werden.
Sind Gefühle eine Klassenfrage? Oder sind wir vor unseren Gefühlen – und insbesondere vor unseren verletzten Gefühlen – alle gleich?
Ja, das glaube ich schon. Sonst würden wir zu Schlüssen kommen wie „Bleib arm, aber ehrlich“; das ist zu simpel. Aber ich denke schon, dass die Verführbarkeit von Menschen in diesen Dimensionen des Reichtums und der Macht schneller in charakterliche Verwerfungen kippen kann als bei jemandem, der im Supermarkt an der Kasse sitzt. Ich glaube, man wird in dieser Klasse mehr böse Menschen finden als bei Verkäuferinnen. Das ist natürlich eine Behauptung, aber ich glaube daran.
Ist es schwieriger, für eine Frau wie Greta Verständnis zu wecken als etwa für Peggy aus dem Kleinert-Arango-„Tatort: Borowski und das Glück der Anderen“?
Ich glaube, es ist tatsächlich schwieriger, für jemanden wie Greta Sympathie zu wecken. Mit den kleinen Leuten kann man besser mitfiebern und man hat mehr Nachsicht. Bei den Reichen denkt man; die haben doch alles, warum machen die so einen Terz?
Der „Tatort“ bezieht sich auf den Mythos vom Wiedergänger, also von jemandem, der nach langer Abwesenheit oder sogar aus dem Totenreich zurückkehrt, um unter den Lebenden Unheil zu stiften. Gab es die Überlegung, die Geister- und Suspense-Sequenzen noch stärker zu betonen?
Gedanken gibt es immer, es mehr in die eine Richtung zu schieben oder in die andere. Aber eine Geistergeschichte hat immer schnell einen Hang zur Künstlichkeit. Mir war wichtig, dass es ein Charakterfilm wird. Deshalb wollte ich nicht zu viel Hokuspokus machen. Man hätte den Hebel auch in die andere Richtung schieben können. Aber ich glaube, das hätte etwas weggenommen von der Einfühlung und der Charakterstimmigkeit. Wir wollten nicht ganz darauf verzichten, aber es dosiert einsetzen.
Die „Gespenster“ in diesem „Tatort“ treiben ihr Unwesen in einem coolen Designer-Haus, in dem die Hausherrin nachts umhergeht „wie ein Geist“. Sind diese „Gespenster“ der Preis für die Illusion von der perfekten Selbstkontrolle?
Ja, absolut; das kommt wieder. Man wird es nicht los. Und das ist ja auch die Moral der Geschichte. Du kannst nicht so etwas machen und denken, du kannst es durch Verdrängung und Wegschieben wieder richtig machen. Das bleibt hängen. Das wissen wir ja auch, dass das stimmt.
Ein Mann verschwindet spurlos, die Ermittlungen laufen ins Leere. Das stellt die Regie vor Herausforderungen. Wie ist es dennoch gelungen, Spannung zu erzeugen?
Ich bin selbstbewusst genug, zu denken, das kriege ich schon irgendwie hin. Mit diesem Mysterium „Kommt er wieder? Wann kommt er wieder? Lebt er, lebt er nicht?“ kann man natürlich gut spielen. Sascha Arango und ich haben versucht, dass es immer wieder Veränderungen und neue Merkwürdigkeiten gibt. Dass man es jedem zutrauen könnte, das ist, glaube ich, das Wichtige. Dem Schweizer Assistenten kann man es zutrauen, dem Vater, der Mutter, und Wittek kann man es sowieso zutrauen, weil er so nahe an Greta dran ist. Es ist Vieles möglich und das fanden wir spannend, dass man das offen lässt.
Die Struktur stand also früh fest? Und die Betonung dieser Doppelbödigkeit?
Wir hatten mal auch eine Version ohne den Prolog. Aber die Idee war dann doch, es dadurch noch mal besonderer zu machen, dass man weiß, es knallt. Wenn man einen „Tatort“ hat und es gibt keine Leiche, dann sind die klassischen „Tatort“- Zuschauer schnell erbost. Das darf man natürlich nicht machen und deshalb hatten wir den Einfall, damit anzufangen.
Wäre es eine Option gewesen, das Ende offen zu lassen?
Ein offenes Ende hätte ich mir schon vorstellen können. Nicht da, wo es jetzt ist. Das sollte ja so eine kleine Frechheit sein. Das hat uns unheimlich Spaß gemacht. Da waren wir wie Kinder, die sich gefreut haben, dass sie das jetzt einfach mal machen. Dass man nach einer Stunde denkt, das war’s. That’s it. Dafür bezahl ich meinen Rundfunkbeitrag...
Krimis sind in Deutschland das publikumsträchtigste Genre. Haben Sie eine These, warum das so ist?
Ich komme ja aus der DDR, und in der Endphase der DDR gab es als Gegenwartsfilm auch nur Krimis wie den „Polizeiruf 110“ und „Der Staatsanwalt hat das Wort“. Ich glaube, dass wir in unserem Leben mit unseren kleinen Problemen immer die Angst haben, dass wir die nicht lösen. Beim Krimi löst jemand anderes für uns die Konflikte. Das beruhigt uns. Es ist wohltuend, dass Dinge stellvertretend für uns gelöst werden. Wenn Fälle nicht gelöst werden, finden die Leute das gar nicht witzig. In anderen Ländern ziehen Krimis auch. Aber vielleicht ist es in Deutschland doch etwas extremer. Vielleicht ist das auch die Angst vor Kontrollverlust. Es gibt ja auch kaum klassische Liebesgeschichten im Fernsehen. Es ist immer Drama und Konflikt, am meisten im Krimi.
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