Gespräch mit Sascha Arango
Drehbuch
Wie sind sie bei diesem „Tatort“ vorgegangen? Hatten Sie eine Ausgangsidee? Die zentrale Idee war: Eine Frau entdeckt den systematischen Betrug ihres Ehemannes. Wie geht sie damit um?
Sie entscheidet sich, eine Falle zu stellen und eine Identifikationsfigur zu fabrizieren, von der sie glaubt, so eine Frau wünsche sich ihr Mann insgeheim. Sie teilt sich damit selber in die puritanische kontrollierende Person und die laszive verführerische, die sie (auch) gern sein möchte.
Tobys Video-Ankündigung – „Wenn ich mal weg bin, dann komm ich wieder. Ich komme immer wieder“ – erfüllt sich am Ende auf teuflische Weise. Das spielt auf den Mythos vom Wiedergänger an. Wie sind Sie darauf gekommen?
Der Wiedergänger-Mythos fasziniert mich. Die Wiederkehr der Toten, die rächend oder helfend in die Geschicke der Menschen eingreifen, sei es in dämonischer Form oder als Fabrikation des Gewissens, ist ein unerschöpflicher Fundus für Geschichten. Im Mittelalter nahm man es als gegeben, dass die Toten in ihren Gräbern bis zur Auferstehung nur ruhen und das Tagesgeschäft der Lebenden jederzeit beobachten und beeinflussen. So gesehen ist der Tod ein langer Fernsehabend.
Man nimmt Greta nicht als böse wahr. Verstörend ist aber, dass sie ihre Tat zeitweise ganz auszublenden scheint.
Diese Verdrängung und Rechtfertigung der eigenen moralischen Verwerflichkeit ist integraler Bestandteil jeden geplanten Verbrechens. Das Opfer hat die Strafe verdient; ich, die Täterin, wurde dazu gebracht; ich wehre mich nur, ich vergelte den mir entstandenen Schmerz.
Während an den Eltern alles abprallt, was nicht die Firma betrifft, geht Greta nur zum Teil in ihrem Milieu auf. Was ist ihr Drama?
Die Kränkung ist ihr Hauptmotiv. Sie ist passiv aggressiv mit einem hohen, narzisstischen Anteil und leidet an einer durch Erziehung und sozialen Statusdruck deformierten Persönlichkeit.
Sie sucht in ihrer Ehe und in ihren Fotografien nach etwas, was nichts mit Geld zu tun hat. Ist das ihre offene Flanke?
Ihre Fotobücher bringt sie alle im Selbstverlag heraus. Sie bezahlt Druck und Verteilung - weil sie es sich leisten kann –, ihren Meriten erwirbt sie auf finanzielle Weise und nicht auf künstlerische. Damit erniedrigt sie ihren Mann. Sie realisiert nicht sich selbst, sondern nur das Bild, das sie von sich selbst haben möchte. TikTok World.
Greta wird zur Mörderin, weil sie sich zutiefst gedemütigt fühlt. Verblüffend ist, wie professionell sie ihre Tat durchführt. Ist die Kombination aus Kaltblütigkeit und verletzten Gefühlen etwas typisch Weibliches? Oder hat das mit Gretas sozialem Background zu tun?
Im Gegensatz zum klassischen männlichen Mörder, der oft nicht über die Tat hinausdenkt, was wirklich sehr dumm ist, bezieht Greta Exner die Konsequenzen ihrer Tat in ihre Planung von Anfang an ein. Sie hat ihr eigenes „Ermittlungskonzept“, sieht die Arbeit der Polizei voraus, hat eine klare Vorstellung, mit welchem mächtigen Apparat sie es zu tun bekommen wird. Sie kommt damit fast durch.
Als Firmenchefin muss Greta rational handeln. Dass sie eine Realistin ist, wie sie selbst behauptet, kann man nicht sagen. Ihre emotionale Reise ist eine in den Wahn, wenn sie auf einen Mann einzuschlagen glaubt, den sie tot weiß. Was ist das Einfallstor, durch das die Geister kommen? Das schlechte Gewissen? Ihre Einsamkeit?
Ganz richtig. Dieser letzte Gewaltakt ist eine „Übertötung“, die den Falschen trifft, sprich, ein massiver „Impulsdurchbruch“, in dem sich ihre ganze aufgestaute – und unverarbeitete – Wut entlädt.
Sie interessieren sich besonders für die Perspektive der Täter*innen. Folgen Sie dabei der Story-Regel, dass die Kommissare umso besser zur Geltung zu kommen, je stärker die Antagonisten sind?
Natürlich wächst der Held immer an der Statur seines Gegners. Insofern ist eine sehr starke weibliche Figur besonders geeignet, den Kommissar selber zu Höchstleistungen zu bringen.
Wann weckt eine Figur Ihre Fantasie?
Wenn die Figur ein in gewisser Weise nachvollziehbares Problem hat, auf das es aber keine gesellschaftlich konforme Lösung gibt.
Sind psychische Dispositionen oder soziale Faktoren wichtiger, damit jemand zum Täter oder zur Täterin wird? Was ist zuerst da? Oder ist beides untrennbar verwoben?
Ich maße mir nicht an, ein forensischer Psychologe zu sein. Aber mit Sicherheit sind Disposition und soziale Faktoren ausschlaggebend für jedes Verbrechen. Besonders der Ort macht das Verbrechen. Wer beispielsweise in den Favelas aufwächst, wird früh und kontinuierlich mit dem Verbrechen konfrontiert. Entscheidend für eine Gewalttat ist meines Erachtens der auslösende Anlass. Der kann nichtig und zufällig sein. Hier verbindet sich der „innere“ mit dem „äußeren“ Feind, zum Beispiel eine Gewaltneigung mit Alkohol. Fehlt nur noch die Situation und das Opfer.
Die abgefeimten Eltern und ihr Schweizer Adlatus sorgen für Lacher. Ist die Lust, Angehörige dieses Milieus satirisch zu überzeichnen, größer als bei sozial weniger gut gestellten Figuren?
Wer sich einmal in solchen Milieus bewegt hat, wird erkennen, dass diese Überzeichnung eher pures Understatement ist. Die Realität ist noch skurriler.
Anders gefragt: Ist die Verlogenheit in den besseren Kreisen größer, weil die Leute unter größerem Anpassungsdruck stehen?
Verlogenheit ist kein Charakteristikum der oberen Klasse. Aus Statistiken zum Versicherungsbetrug wird ersichtlich, dass in allen gesellschaftlichen Ebenen betrogen und gelogen wird. Die Reichen kommen natürlich besser damit durch, schon weil sie die besseren Anwälte haben.
Es gibt wieder ganz wunderbare Dialogsätze: „Irgendwas Offshoriges“ (Mutter Exner); „Wir suchen; aber wir finden sie nicht“ (Rütli). Wann schreibt man gute Dialoge?
Ich glaube, die Kunst des Dialogs ist, den Subtext zum Vorschein zu bringen und ihn in möglichst kurzen, prägnanten Äußerungen zu artikulieren.
Gab es die Überlegung, die Ermittlungen gänzlich ins Leere laufen und das Ende offen zu lassen? Der überraschende Gag mit dem „Tatort“-Abspann deutet das an.
Greta Exner ist zu diesem Zeitpunkt fast der perfekte Mord gelungen, deshalb der Abspann-Gag. Borowski greift tief in die Kiste und holt den Wiedergänger hervor. Er stellt sich damit in einen Schattenbereich des Rechts und setzt sie psychologisch unter Druck. Das Film-Finale ist Ergebnis vieler Diskussionen und Einflüsse. Hier hat Meister-Regisseur Andreas Kleinert sehr viel dazu beigetragen, das Ende so zu gestalten.
Die üblichen Verhöre und Ermittlungen führen zu nichts. Lange ist unklar, ob es überhaupt einen Fall gibt. Spielt die Folge auch mit den Gepflogenheiten des „Tatorts“ selbst?
Den „Tatort“ selbst zum Thema machen? Da lässt man besser die Finger von, das ist ein gefährliches Spielchen, das leicht nach hinten losgeht. Wie ernst viele Zuschauer das Format nehmen, erkennt man daran, mit welcher Hingabe oder mit welcher Abneigung sie auf die unterschiedlichen Teams reagieren. Soweit ich weiß, ist „Tatort“-Satire und Film im Film schon einige Male versucht worden und wurde nie besonders goutiert.
Warum sind Krimis in Deutschland eigentlich so beliebt? Sind wir ein Land von verhinderten Verbrechern oder eines von verhinderten Kommissaren?
Wenn man sich die Kirchengeschichte vom frühen Mittelalter bis in die Neuzeit ansieht, wird klar, dass Buße, Beichte, Reparatur und Absolution seit jeher integraler Bestandteil der deutschen/europäischen Mentalität sind. Ich glaube, es gehört zu den Leidenschaften unserer Nation, aus Unordnung Ordnung zu schaffen. Dabei geht oft der Spaß flöten, siehe aktuelle Politik.
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