Gespräch mit Georg Lippert
Georg Lippert
Drehbuch
Georg Lippert, der 1982 in Innsbruck geboren wurde, wuchs in Wien auf und absolvierte an der Zürcher Hochschule der Künste ein Schauspielstudium. Währenddessen und danach war er an diversen Theatern in Deutschland und der Schweiz engagiert. Von 2012 bis 2014 absolvierte Georg Lippert das Aufbaustudium Film an der Hamburg Media School im Fachbereich Drehbuch. Der Kurzfilm „Wo wir sind“ (2013, R: Ilker Catak, Drehbuch) gewann 2014 u. a. den Kurzfilmpreis der Murnau-Stiftung und den Max Ophüls Preis für den Besten Kurzfilm; „Sadakat/Fidelity“ (Kurzfilm, 2014, R: Ilker Catak, Drehbuch) wurde unter anderem erneut mit dem Max Ophüls Preis für den Besten Kurzfilm, dem First Steps Award sowie mit dem 42nd Student Academy Award in Gold – „Best Foreign Film“ – geehrt. Des Weiteren verfasste Georg Lippert u. a. Drehbücher zu den NDR Produktionen „Simon sagt Auf Wiedersehen zu seiner Vorhaut“ (2015, R: Viviane Andereggen), mehreren Episoden der NDR Serie „Großstadtrevier“ sowie – gemeinsam mit Marvin Kren – zum NDR Tatort „Böser Boden“ mit Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz (2017, R: Sabine Bernardi). In Vorbereitung sind die Serien „Diary of an Uber Driver“ für den Streamingdienst Joyn und „Da is’ ja nix“ (R: Matthias Steurer) für den NDR.
Gespräch mit Georg Lippert
In Ihrer Geschichte ersticht ein Auftragsmörder aus Rumänien, 14 Jahre alt, den Sohn eines Hamburger Kiezkönigs. Hat es einen derartigen Fall wirklich gegeben?
Ich bin durch ein Zeitungsinterview mit Eddy Kante darauf gestoßen. Der Ex-Bodyguard von Udo Lindenberg, ein Kiez-Urgestein, philosophiert darin über die gute alte Ganovenzeit. Früher hätten die Luden ihre Konflikte noch vor der Tür mit Fäusten ausgetragen. Heute würde man 14-jährige Kinder aus Osteuropa mit einem Messer losschicken und sie nach der Tat sofort zurück über die Grenze schleusen. Es gebe auf der Meile keine Ehre mehr. Das ist das Herz unserer Geschichte. Es ist wie bei einem alten Trinker, der seine Lebensgeschichte erzählt, man weiß nie, was wirklich geschehen und was erfunden ist.
Wie schildern Sie das Milieu?
Es hat mich als Autor sehr gereizt, diesen mythenumwobenen, in der Darstellung oft verklärten Ort, ein wenig zu entschleiern. Der Kiez ist heute eine durchkommerzialisierte Partymeile für Junggesellenabschiede. Wie eine Westernstadt liefert er die urige Kulisse für Leute, die mal richtig die Sau rauslassen wollen. Ein anderer Teil ist natürlich das knallharte Prostitutionsgeschäft. Aber die wahrhaftigste, trostloseste und zugleich schönste Seite des Viertels sind die alten Kneipen. Irgendwo habe ich das Zitat gelesen, diese Häfen für Gestrandete seien die letzten Orte, an denen man sich in Ruhe zu Tode trinken kann. Der Kiez ist für mich ein Ort voller Widersprüche mit einem besonderen nostalgischen Flair.
Ihr geheimer Held ist der deutsche Lude „Eisen-Lübke“. Ist er der letzte seiner Art?
Lübke ringt im Milieu um seine Zugehörigkeit. Die ist ihm irgendwie abhanden gekommen. Jahrzehntelang hat er einem Bordellbesitzer und dessen Familie loyal als Sicherheitschef gedient. Wie ein treuer Hund hat er alles getan, was sein Herrchen von ihm verlangt hat, bis zu dem Tag, an dem er ausgesetzt wurde. Als dann der Mord geschieht, wittert Lübke die Chance, an seine goldene Zeit in den 80er-Jahren anzuknüpfen, die vielleicht gar nicht so glänzend gewesen ist, wie er sie sich zusammendichtet. Der vom Leben gezeichnete Einzelgänger, den nichts mehr berührt, bringt den jungen Killer in seine Gewalt und entwickelt zu seiner Überraschung väterliche Gefühle für die verlorene Seele. Es ist eine Konstellation, die an den Film „Leon, der Profi“ erinnert, aber auch Anleihen an das Märchen „Schneewittchen“ macht, was mir erst beim Schreiben bewusst wurde: Der Jäger bringt es nicht übers Herz, sein Opfer zu töten, und ändert seine Pläne.
In welchem Genre erzählen Sie Ihre Geschichte?
Der „Tatort“ gibt ja von Drama bis Thriller viele Möglichkeiten vor. In einer Drehbuchbesprechung kam irgendwann ein Begriff auf, der die erzählerische Gattung am besten trifft. „Die goldene Zeit“ ist eine Kiezballade, ein emotionaler Gesang auf die alten Zeiten und ihre Mythen, ein getragenes Lied über eine ehemalige Legende und deren tragisches Ende.
Sie haben auch Kommissar Thorsten Falke eine Kiez-Vergangenheit gegeben.
Wir erzählen seine Backstory fort und verorten sie im Milieu. Falke hat vor dem Polizeidienst als Türsteher auf St. Pauli gearbeitet. Für den Jungen aus Hamburg-Billstedt, 17, 18 Jahre alt, ist „Eisen-Lübke“ eine Art Vorbild gewesen. Als der Kommissar dem Idol seiner Jugend wiederbegegnet, erschrickt er darüber, was aus Lübke geworden ist – und was der Mann vielleicht schon damals war. Falke ist letztlich froh, nicht dauerhaft in diese Welt abgetaucht zu sein, anders als sein Freund Mehmet, der auf dem Kiez ins Elend stürzte.
Fühlt sich Falke dem Milieu noch verbunden?
Er betrachtet seine Jugend und die Figuren von damals mit einem leicht verklärenden Blick. Er stuft auch Lübke harmloser ein als er ist. Dadurch macht er als Polizist einen großen Fehler. Falke ist emotional stärker involviert, als er sich eingestehen kann. Kommissarin Julia Grosz sieht seinen blinden Fleck und wundert sich über ihren Partner. Für sie ist das ganze Kiezgetue nichts weiter als Folklore. Aber sie dreht Falke keinen Strick daraus. Überhaupt sind die beiden Kommissare in ihrem Umgang miteinander ziemlich respektvoll. Was nicht bedeutet, dass sie sich schonen. Ihre gegenseitige Ehrlichkeit ist manchmal auch schmerzhaft. Dadurch wachsen sie aber als Team immer mehr zusammen.
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