Gespräch mit Michael Thomas
Gespräch mit Michael Thomas
Sie haben die „goldene Zeit“ auf dem Hamburger Kiez miterlebt. Welche Bedeutung hat die Rolle des Luden „Eisen-Lübke“ für Sie?
Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen, als ich die Rolle im „Tatort“ angeboten bekommen habe. Ich wollte immer so eine Kiezlegende spielen. Es hat mich unglaublich gerührt.
Woher kommt Ihre Liebe zum Kiez?
St. Pauli ist Zeit meines Lebens ein Sehnsuchtsort gewesen. Er hat mich sehr geprägt. Im Alter von zwei Jahren bin ich zum ersten Mal in Hamburg gewesen. Mein Vater nahm mich damals auf seine Schultern und sang mir Hans-Albers-Lieder vor, während wir eine Hafenrundfahrt machten. Er ist Kabarettist gewesen, und ich bin immer mit auf Tournee gegangen. Als ich 15 war, bin ich aus meinem Wiener Elternhaus ausgerissen, um Abenteuer zu erleben. Ich machte mich nach Hamburg auf, mit nichts mehr als ein paar Jeans und einem breiten Kreuz. Ich habe im Hafen gearbeitet und später geboxt. Auf der Reeperbahn gab es noch diesen wunderbaren Western Store. Darin hing eine Fransenjacke, die ich mir nicht leisten konnte, doch ein Hamburger Unterweltler hat sich meiner erbarmt und mir die Hälfte des Geldes dazugegeben. Ich fühlte mich wie der König von St. Pauli. Ich hatte einen starken Hang zu diesen Leuten. Auf dem Kiez habe ich dann vieles getan, was Gott so verboten hat. Ich teilte aus und bekam auf die Fresse. Wenn ich in den Kneipen gesessen bin, mein Bierchen und meinen Korn getrunken habe, kam ich mir vor wie Hans Albers. Und an Mädels hat es auch nicht gemangelt. Es war eine wunderschöne Zeit.
Der „Tatort: Die goldene Zeit“ stimmt ein letztes Lied auf das alte St. Pauli an. Erkennen Sie Ihren Kiez noch wieder?
Natürlich habe ich mitgekriegt, wie extrem sich der Kiez im Laufe der Jahre verändert hat. Er ist sehr Ballermann- artig geworden. Aber wenn man in die kleinen Gassen geht, dann kann man den Zauber der alten Zeit noch spüren. Es gibt noch diese Kneipen aus den 70er-Jahren, in denen die alten Nutten sich einen Kaffee bestellen. Die guten alten Nutten, ich sage es absichtlich so, ich habe sie mein Leben lang geliebt. Für mich sind sie Psychologinnen und Lebenshelferinnen. Ich habe Hochachtung vor dem, was sie leisten. Aber die Kälte, die heute über den Kiez wehrt, hat mit der Prostitution von damals nichts mehr zu tun. Laufhäuser, Menschenhandel, Zwangsprostitution, nichts ist mir verhasster.
Warum haben Sie sich während der Dreharbeiten auf der Reeperbahn einquartiert?
Ich habe tatsächlich Wert daraufgelegt, dass ich nicht in einem Hamburger Top-Hotel untergebracht werde, sondern direkt auf dem Kiez in einer kleinen Kaschemme. Und die Pension, in die ich abgestiegen bin, kann ich wirklich nur sentimentalen St. Pauli-Liebhabern empfehlen. Karges Zimmer, Fenster zur Reeperbahn, die ganze Nacht Halligalli. Das hat mir aber geholfen, mich in die Rolle und die Einsamkeit der Figur hineinzufinden. Auch in der freien Zeit habe ich mich nur auf dem Kiez bewegt, in den abgefucktesten Kneipen mit Leuten geredet und viel Wunderschönes erfahren. Als mich mein Sohn während des Drehs in Hamburg besuchte, habe ich ihn aus sentimentalen Gründen auf meine Schultern gehoben. Er ist 25 und zwei Meter groß. Ich wäre unter der Last fast zusammengebrochen. Aber man ist ja irgendwie noch in Form.
Im Film zieht der Ex-Lude Lübke als Einzelgänger über den Kiez, in einem langen Ledermantel und einem denkwürdig braunen Unterhemd. Ist Lübke eine traurige Figur?
Er ist ein Relikt aus einer anderen Ära des Milieus. Als er über die Reeperbahn läuft, bewerfen ihn albanischen Bandenmitglieder von oben herab mit Essensresten. Vor 20 Jahren hätte sie das besser nicht mit Lübke machen sollen. Er spürt, dass seine Zeit vorbei ist, aber er will es noch nicht ganz wahrhaben. Diese Szene ist die Gegenüberstellung einer früheren Legende mit den aktuellen Machthabern auf dem Kiez, die ungleich gewalttätiger und kompromissloser vorgehen. Sie verkörpern das pure Geschäft, die Brutalität der Kohle in einer eindimensionalen Art. Das Herz am rechten Fleck hat größtenteils aufgehört zu schlagen.
Schlägt in Lübke noch ein Herz?
Der junge Killer aus Rumänien berührt den alten Haudegen. Diese arme Seele, 14 Jahre alt, verübt einen Mord, weil er seinem Vater einen Fernseher kaufen will. Lübke ist hin- und hergerissen zwischen der Loyalität seinem Boss gegenüber, dessen Sohn erstochen wurde, und dem Verständnis für den Jungen, der in ihm Vatergefühle weckt.
Hätte aus Ihnen auch ein Mann wie „Eisen-Lübke“ werden können?
Ich bin zwar in einer Schauspielerfamilie groß geworden, und für mich war immer klar, dass ich einmal Schauspieler werde, aber ich hatte mich in meiner Jugend davon stark distanziert. Ich wollte ja ein Abenteuerleben führen. Da hätte es leicht passieren können, dass ich auf dem Kiez hängenbleibe und so ende wie Lübke.
Wie liefen die Drehs auf St. Pauli mit der Regisseurin Mia Spengler? Mussten Sie als zweimaliger Vizestaatsmeister im Schwergewicht schon mal dazwischen gehen?
Das war nicht nötig. Mia ist eine Göttin. Ich liebe sie. Sie wusste voll, wie man den Kiez nimmt. Mia ist einfach so überzeugt und so gnadenlos in ihrer Arbeit, wenn da irgendjemand gekommen wäre, hätte sie ihn zusammengefaltet: Mensch, stör’ mich doch nicht bei meiner Arbeit! Sie lässt sich da von niemandem aus dem Konzept bringen. Ich schätze mich sehr glücklich, mit ihr und dem wunderbaren Team von Wüste Film gearbeitet zu haben. Ich bin von jedem in der Produktion und von jedem Schauspieler so herzlich aufgenommen worden, als hätte ich immer schon dazugehört. Mir ist selten so viel Wärme entgegengebracht worden wie bei diesem Dreh. Das hat mein Bild von St. Pauli abgerundet.
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