Gespräch mit Wotan Wilke Möhring
Gespräch mit Wotan Wilke Möhring
Thorsten Falke wird im neuen „Tatort“ mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Er hatte seine ersten Jobs mit 17, 18 im Milieu, bevor er zur Polizei ging. Wie kam es zum Karrierewechsel?
Es ist 30 Jahre her, da hat Falke als Türsteher auf St. Pauli gearbeitet. Er war „der Lütte“ an der Tür und gar nicht mal unbegabt. Dann ist er auf die Gegenseite gewechselt, aber im Herzen ist er einer von ihnen geblieben. Irgendwie gehört Falke zum Kiez, nicht in seiner Funktion als Polizist, sondern weil er sich hier am wohlsten fühlt, in der Einfachheit des Milieus, wo der Handschlag noch etwas zählt. Warum er zur Polizei gegangen ist? Weil er gemerkt hat, dass man auch dort eine ehrliche Haut sein kann. Sie macht Falkes „Street Credibility“ aus.
Ist er stolz auf seine Jugendjahre als Türsteher?
Falke ist froh darüber, gerade noch rechtzeitig aus dem Milieu ausgestiegen zu sein, im Gegensatz zu seinem besten Freund Mehmet, der den rettenden Absprung nicht geschafft hat, wie der Film zeigt. Dennoch hat diese Zeit ihn stark geprägt. An der Tür Menschen zu lesen, intuitiv zu erfassen, ob jemand gefährlich ist, ob er wirklich Ärger sucht oder Hilfe braucht, all diese Dinge haben ihn in der Rückschau zu dem gemacht, was er heute ist: nämlich der Bauchbulle, der sich auf seine Menschenkenntnis und seine Instinkte verlassen kann. Die Tür ist ein wichtiger Lehrmeister gewesen.
Falke ermittelt gegen „Eisen-Lübke“, ein Kiez-Urgestein. In welchem Verhältnis steht der Kommissar zum Ex-Luden?
Er ist eine Vaterfigur für ihn gewesen. Falke hat damals immer gewusst, dass im Hintergrund einer über ihn wacht, der sich in die Bresche wirft, sobald es Stress gibt. Lübke ist in seiner „goldenen Zeit“ als Sicherheitschef eines Bordellbetreibers eine große Nummer auf dem Kiez gewesen. Das hat auf Falke, den Jungen aus Hamburg- Billstedt, eine gewisse Zeit Eindruck gemacht. Doch am Ende überkam ihn eine dunkle Vorahnung, die sich bestätigten sollte. In einer Szene besucht Falke seinen Ziehvater in dessen schmutziger, übelriechender Bude auf St. Pauli, er bleibt nicht länger als nötig und sagt zum Abschied: „Und mach’ mal das Fenster auf!“ Falke hatte sich über Jahre nicht bei ihm blicken lassen. Er wollte den Kontakt mit diesem traurigen Leben vermeiden.
Ist Falke in diesem Fall befangen?
Er muss in seinem alten Umfeld ermitteln. Das fällt ihm schwer. Aber er ist nicht faktisch befangen in dem Sinne, dass er blind dafür wäre, die verschiedenen Verstrickungen zu erkennen. Seine Partnerin Julia Grosz registriert natürlich, dass er emotional stärker beteiligt ist als sie. Daraus könnte sie als Kommissarin einen Nutzen ziehen, aber sie nimmt es in Kauf, was ihr hoch anzurechnen ist. Auf der anderen Seite kann sie sich auf seine Einschätzung nicht verlassen und muss in diesem Fall ihrem eigenen Gespür folgen. Ich denke, in der Mischung beider liegt die Wahrheit.
Blickt sie anders auf den Kiez als Falke?
Wir haben während des Drehs viel über das Milieu und den weiblichen Blick darauf gesprochen. Für die Figur Julia Grosz ist und war Prostitution immer Ausbeutung. Den Frauen ist es hier immer schlecht ergangen. Damit hat sie völlig Recht. Mit Romantik hat der Kiez nichts zu tun. Auch Falke glorifiziert die „goldene Zeit“ nicht. Aber bei ihm schwingt ein wenig Nostalgie mit, wenn er durch St. Pauli läuft. Weil er hier aufgewachsen ist, kommen viele alte Geschichten hoch. Im Rückblick können die schlimmsten Erlebnisse die schönsten Anekdoten sein.
In den Achtzigern gab es unter den Ganoven noch Sitte und Ehre, so geht der Kiez-Mythos. Ist das nicht ein Märchen, das die deutschen Zuhälter über sich verbreitet haben?
Ich kenne von früher selber ein paar Hauer vom Kiez. Ein Handschlag, mehr brauchte es zwischen ihnen nicht, um ein Geschäft abzuwickeln. Und wenn einer am Boden lag, dann trat man nicht noch einmal drauf. Unsere Geschichte ist schon realistisch. Der alte Kiez geht unter. „Eisen-Lübke“ ist der letzte seiner Art: ein Lude mit Herz und einem Funken Anstand. Heute herrschen osteuropäische Banden über die Reeperbahn. Gewalt und Brutalität nehmen zu. Man schleust aus dem Ausland Kinder als Killer ein. Nichts zählt mehr.
Fühlen Sie sich St. Pauli heimisch verbunden?
Ich kenne den Hamburger Kiez seit mehr als 30 Jahren. Und ich sehe, wie sich alles in Richtung Kommerz verändert. Das Herz von St. Pauli bleibt auf der Strecke. Heute gehört das Viertel zu den teuersten Wohnquartieren in Hamburg. Alle wollen plötzlich in der Schmuddelecke wohnen, beschweren sich aber über den Lärm auf den Straßen. Dann gibt es eine neue Lärmverordnung, und schon ist es vorbei mit dem bunten Treiben vor der Tür, wegen dem man einmal hergezogen war.
„Die goldene Zeit“ ist ein Männerfilm mit starken Frauenfiguren. Ist es Ihnen wichtig gewesen, dass eine Frau Regie führt?
Mia Spengler hat einige Jahre auf dem Kiez gelebt. Das war uns als Erstes wichtig. Wir wollten ja nicht nur das alte St. Pauli erzählen, sondern das neue Milieu so realistisch wie möglich einfangen. Ich fand es auch toll, dass mit Mia eine Frau Regie geführt hat. Man wird dem Film kaum vorhalten können, er nehme eine komische Männerperspektive ein. In den Szenen, die mich am meisten berührt haben, ist Jessica Kosmalla als Barfrau und Ex- Prostituierte zu sehen, die ziemlich tief abgestürzt ist. Jessica kommt unter Mias Führung voll aus sich heraus und verleiht ihrer Figur etwas sehr Würdevolles. Ich bin mir nicht sicher, ob sie sich gegenüber einem Regisseur auf die gleiche Weise geöffnet hätte. Mia ist eine Bereicherung für unsere „Tatort“-Reihe, auch, weil sie den Mut besitzt, ihre eigenen künstlerischen Visionen zu verfolgen. Wir probieren ja selber gern neue Sachen aus.
Kommentare