Die Gefährlichkeit von Wahrheit und Ehrlichkeit
Ein Gespräch mit dem Regisseur Friedemann Fromm, dem NDR-Redakteur Bernhard Gleim sowie den Produzenten Michael Lehmann und Katrin Goetter
Welche Rolle spielt die Stadt Berlin und ihre Machtarchitektur in der Serie?
Bernhard Gleim: Unsere Serie bildet die reale Berliner Politik nicht 1:1 ab, das ist nicht ihr Anspruch. Aber natürlich zeigt sie das verdichtete Bild einer Stadt, die in wenigen Jahren gewaltige Veränderungen erfahren hat. Eine Stadt, in der es Skandale um die Verbindung von Geld und Macht gegeben hat. Die Leichen, die da im Keller liegen, werden ans Licht geholt. Es vereinigen sich in gewisser Weise die beiden Vergangenheiten der jeweiligen Stadthälften: der Westen mit seiner Verquickung von Geschäft und Politik, der Osten mit Stasi und den geheimpolizeilich gestützten Machtstrukturen.
Der Titel der Serie verbindet zwei Begriffe: Stadt und Macht. Wie würden Sie das Verhältnis beider, wie es in der Serie zum Ausdruck kommt, beschreiben? Welche Reaktionen, Widersprüche, Spannungen, Wertungen stecken in dieser Konjunktion "und"?
Bernhard Gleim: Da wage ich nur eine sehr vorläufige Antwort, die vom Klang der beiden Worte ausgeht: Bei "Stadt" denken wir automatisch an einen Raum, der uns zugehört. Das ist unser Leben, unsere Nachbarschaft, damit verbinden wir Perspektiven und Ansichten, die über den Horizont unserer ureigenen, engen Privatheit hinausreichen. Mir geht zum Beispiel immer das Herz auf, wenn ich mit dem Zug über die Elbbrücken nach Hamburg zurückfahre. "Macht" ist besonders im Deutschen ein höchst ambivalentes Wort. Da schwingt Ferne, Kälte, Dominanz mit. Heute aber wollen die Bürger mehr von der Macht, im Sinne von Selbstbeteiligung. Und das Programm von Susanne Kröhmer in unserer Serie geht ja in diese Richtung: Runter von den Großprojekten, deren Versprechen sich selten einlösen lassen, hin zur Bemächtigung der Bürger, aus deren Kompetenz Neues entsteht, und eine Stadt sich von unten und nicht von oben aufbauen kann.
Welches Bild zeichnet die Serie von Politik? Warum ist es gerade heute spannend und wichtig, über Politik und deren Hintergründe zu erzählen?
Friedemann Fromm: Ich finde es besorgniserregend, dass sich so viele Menschen von der Politik abwenden, wo doch unser Leben in ganz großem Maß durch Politik geprägt wird. Und egal, wie armselig einem die momentane Politik vorkommen mag – Rückzug ist keine Lösung. Auch Politikverdrossenheit ist hochpolitisch. Abgesehen davon finde ich politische Vorgänge ausgesprochen spannend, und sie können sehr emotional sein, wenn man sie entsprechend erzählt. In der Serie ist Politik zu einem guten Teil Show – und die Akteure müssen gute Darsteller ihrer politischen Alter Egos sein. Mein Eindruck ist, dass es in der Politik zunehmend weniger um Inhalte als um die Darstellung von Inhalten geht – und um Gefühle, in die Inhalte verpackt werden. Ich glaube, unser Blick auf Politik ist ein ziemlich schonungsloser, aber auch lustvoller Blick, und ich würde mir wünschen, dass die Serie Interesse für politische Vorgänge weckt oder wiederbelebt. Ich glaube, für Leute, die dem ungeheuren Druck gewachsen sind, kann Politik wie eine Droge sein. Macht ist definitiv eine Droge. Aber Drogen verändern diejenigen, die sie konsumieren. Auch davon handelt die Geschichte.
Politik als Droge – gibt die Serie da nicht doch ein eher abschreckendes Beispiel für das, was Politik heute ist? Oder kann sie auch Lust auf Politik machen?
Bernhard Gleim: Schwierige Frage, denn sie setzt ja voraus, dass wir wissen, was Lust auf Politik macht. Gute, ehrliche, "ideale" Politiker? Der Wunsch, es besser zu machen, gerade, wenn die politische Wirklichkeit manchmal ziemlich abschreckend erscheint? – Unsere Heldin Susanne Kröhmer ergreift einen politischen Moment, als sie in einer ziemlich aussichtslosen Situation für ihre Partei den Hut in den Ring wirft. Und damit lässt sie sich auf ein manchmal recht schmutziges Spiel ein. Und, ja, sie muss auch lernen, dass es zum strategischen Spiel der Politik gehört, über Bande zu spielen und Verbindungen einzugehen, die mehr nach Gegengeschäften aussehen. Es wäre ein verdammt idealistisches Bild von Politik, wenn wir denken, man könne in ihr "rein" bleiben und unberührt politisch reifen. Nein, Lust auf Politik entsteht auch durch die Dynamik der Politik, durch ihr Spiel, durch ihre Gestaltungsmöglichkeiten – und das alles zeigen wir!
Steht Politik denn wirklich im Vordergrund der Serie oder ist das politische Geschäft eher eine Art Szenerie, eine Kulisse oder Folie, um eine spannende Geschichte zu erzählen?
Bernhard Gleim: Das politische Geschehen ist bei uns vor allem eins: Drama. Und die Serie verwebt drei dramatische Muster miteinander: Familiendrama, Machtspiel auf der Bühne der Politik und Krimi – denn da liegen im wahrsten Sinn des Wortes Leichen unter dem Beton. Unser Vordergrund hat also Hintergründe, und der Zuschauer bewegt sich nicht nur in der Kulisse der Politik, er wird von Minute zu Minute mehr in den Zusammenhang des Geschehens hineingezogen. Er muss die Motive, von denen die Antagonisten – also besonders der Vater der Heldin und der Regierende Bürgermeister – angetrieben werden, aufdecken.
Politthriller, Familiendrama und Sittenbild der deutschen Hauptstadt – wie werden diese thematischen Fäden miteinander verwoben?
Friedemann Fromm: Die Verbindung liegt in der Hauptfigur. Bei Susanne laufen alle Fäden zusammen, und es ist ihre Aufgabe, den gordischen Knoten ihres Familiengeheimnisses zu entwirren. Das führt vom Politthriller zum Familiendrama und von dort zum Sittengemälde. Das Sittengemälde ist wiederum die Basis für den Politthriller. Diese enge Verflechtung der unterschiedlichen Genres und Stränge gibt der Geschichte die besondere Dichte und Spannung.
Die Geschichte der Susanne Kröhmer ist auch eine der Emanzipation von ihrem in vielem als übermächtig erlebten Vater. Wie wichtig war Ihnen dieser Aspekt der Geschichte?
Michael Lehmann: Diese Konstellation ist Kern der Serie, es ist der Motor, und wir glauben, dass dies für viele Frauen in der Gesellschaft die persönliche Herausforderung ist, der sie sich stellen. Die Beantwortung dieser Lebensfragen führt zwangsläufig dazu, dass Kräfte frei werden, wie wir bei unserer Hauptfigur sehen werden. Wir glauben, dass diese Fragen insbesondere für die Frauen der Generation der Babyboomer ganz zentral sind, sie sich anders als in anderen Generationen beantworten. Die Ablösung des Vaters als Patriarch steht hierbei im Zentrum.
Was hat Sie an der Hauptperson der Susanne Kröhmer und ihrem Weg durch das politische Berlin besonders interessiert? Ging es Ihnen auch um die Frage, wie sich eine Frau in einer Männerdomäne, als die die politische Szene von Berlin in "Die Stadt und die Macht" dargestellt wird, behauptet?
Friedemann Fromm: Im Kern geht es für Susanne Kröhmer um die Frage: Wer bin ich und wer will ich sein? Und daraus folgt die Frage: Kann ich die sein, die ich sein will, und welchen Preis bin ich bereit, dafür zu zahlen? So gesehen ist der Film die späte Coming of Age Geschichte einer Frau Anfang 40. Mich interessiert die Frage nach der Wahrhaftigkeit, wenn es ans Eingemachte geht, und die Frage nach dem Wert, aber auch der Gefährlichkeit von Wahrheit und Ehrlichkeit. Das finde ich spannend und faszinierend, da es zeitlose Fragen sind, die gleichzeitig hochaktuell bleiben. Es geht darum, hinter die Fassade der inszenierten Politdarstellung zu blicken, die uns heutzutage in der Mediendemokratie als reale Politik verkauft wird. Was macht dieser Betrieb mit und aus den Menschen? Dabei ist es sekundär, dass die Hauptfigur eine Frau ist. Entscheidend ist, dass sie Mensch bleiben will – das macht sie angreifbar und führt dazu, dass sie beinahe zerbricht.
"Die Stadt und die Macht" erzählt auf allen Ebenen emotional und vielschichtig. Warum war diese emotionale Seite so besonders wichtig?
Katrin Goetter: Allen Überlegungen zu dieser Serie war eine Frage vorangestellt: Wann wird der Politiker zum Mensch, wann ist er nicht nur eine mediale Erscheinung? Die Freude nach einer Wahl, die Tränen nach einer Niederlage, die menschliche Komponente bei Politikern bleibt uns meist verborgen, und genau diese menschliche Seite interessierte uns.
Wo haben Sie als Regisseur Akzente gesetzt – inhaltlich und ästhetisch? Was war Ihnen besonders wichtig bei der visuellen Umsetzung und bei der Erzählweise?
Friedemann Fromm: Es geht um vier Erzählebenen, die miteinander verflochten werden, und die jede ihre eigene Ästhetik und ihren eigenen Rhythmus brauchen: der Thriller, das Drama, die Politik und Susannes emotionales Geheimnis. Demzufolge haben wir vier verschiedene visuelle Ebenen entwickelt, die wir miteinander verweben. Dadurch entsteht ein permanenter Sog um unsere Hauptfigur herum. Im Kern stehen immer die Geschichte und die Figuren – daraus resultiert die emotionale Spannung. Die Ästhetik dient dazu, die Spannung zu verstärken und die Elemente zu ordnen. Ich wollte einen schnellen Erzählrhythmus, der dem Tempo der Stadt Berlin entspricht. Berlin als eine der spannendsten Metropolen Europas spielt ja eine große Rolle in der Geschichte. Darüber hinaus war es mir wichtig, Politik spannend, emotional und sinnlich zu erzählen, um eventuelle Berührungsängste mit dem Sujet von vornherein zu unterlaufen. Das findet sich zum Beispiel in der Figur von Georg Lassnitz wieder,mit dem auch Witz und Ironie in die Geschichte kommen. Im Kern ist es eine zeitlose, sehr emotionale und dramatische Entwicklungsgeschichte einer Frau – vor dem Hintergrund aktueller politischer Vorgänge. Diese Gewichtung der erzählerischen Schwerpunkte ist entscheidend für die Wirkung der Serie.
Eine politische Serie im deutschen Fernsehen anzubieten, ist ein mutiges Unterfangen. Was hat Sie dazu bewogen, die Serie als Produzent in dieser Form zu realisieren?
Michael Lehmann: Ausgangspunkt war der Rücktritt des Bundespräsidenten Wulff. Was haben die Wulffs sich persönlich gesagt, als es endlich vorbei war? Wie haben sie sich davor gefühlt, wie konnte es soweit kommen, wie geht das Leben danach weiter? Solche Fragen kann man nicht in einem 90-Minüter klären, da bleibt man an der Oberfläche. Deshalb haben wir die Form der Miniserie gewählt.
Warum ist Friedemann Fromm der richtige Regisseur für eine solche Serie?
Michael Lehmann: Friedemann Fromm hat Haltung, er ist ein sehr politischer Mensch, und er hat einen besonderen Blick für Figuren. Er war unser Wunschkandidat. Er ist in das Projekt eingestiegen, als wir nur die Idee hatten, und Friedemann ist ein treuer Mensch. Er hat dem Projekt über drei Jahre die Treue gehalten, es kreativ vorangetrieben. Diese Kraft benötigt man, um solche Projekte zu realisieren.
Gibt es Vorbilder für "Die Stadt und die Macht"? Bei vielen Serien stehen neuerdings starke Frauen im Mittelpunkt. Zufall – oder ist da ein allgemeiner Trend auszumachen?
Michael Lehmann: Als wir das Projekt gestartet haben, gab es diese Art der Miniserie kaum. Deshalb gab es auch keine Vorbilder. Wenn es jetzt einen Trend gibt, dann sicherlich aus einer gesamtgesellschaftlichen Situation heraus.
Welche Bedeutung hat die Serie "Die Stadt und die Macht" innerhalb des erfolgreichen Serienhauptabendkonzepts der ARD im Ersten? Sehen Sie allgemein einen Trend hin zu solcher Art "Miniserien", die dann auch als Eventprogrammierung gezeigt werden?
Bernhard Gleim: Ich halte nichts davon, Serientypen gegeneinander auszuspielen. Also Serien, die man im Englischen als "series" bezeichnen würde, die eine verlässliche, wiederkehrende Grundarchitektur haben, wie etwa unsere "Kanzlei", auszuspielen gegen Serien, die man im Englischen als "Serials" bezeichnen würde, Serien, die vorangehen, die einen starken Handlungsbogen haben, im Grunde eine Geschichte über sechs Folgen erzählen. Beides hat seinen Platz in einem Vollprogramm. Aber in der ARD haben wir bisher sicher eher zu wenige von solchen Miniserien, die natürlich eine gute Möglichkeit bieten, andere, komplexere Erzählweisen auszuprobieren. Wenn es also einen Trend zur Miniserie gibt, begrüße ich den ausdrücklich!
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