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Russland: Putin und die Jungwähler

Russland: Putin und die Jungwähler | Bild: NDR

Sie prägten vor Monaten das Bild der Anti-Putin-Demonstrationen in Russland: Schüler und Studenten, Teenager und Heranwachsende – begeistert von Alexej Nawalnys Internet-Enthüllungen zu Prominenten der Putin-Umgebung. Wird die Rebellion der jungen Russen gefährlich für den Präsidenten bei den Wahlen im März? Wohl kaum. Wladimir Putins größte Sorge ist nur die geringe Wahlbeteiligung, die seiner sicheren Wiederwahl den nötigen Glanz nehmen würde. Ein Besuch in Moskau:

"Russland in meinem Herzen" heißt die landesweite Demonstration patriotischer Gefühle, Gedenken an den Sieg in Stalingrad, Protest gegen die Sperrung ihrer Olympioniken. Alles ist gut organisiert, viele Jugendliche sind auf dem Roten Platz – aus dem Moskauer Umland sind sie mit Bussen hergebracht worden, berichten sie. "Ihr müsst kommen, sagten sie uns, als wir aus der Fachschule kamen. Also sind wir gekommen", erzählt Natalia, die eine Banklehre macht. Die von Putin gegründete Gesamtrussische Volksfront ist besonders aktiv.

Fahnen auf der Demonstration "Russland in meinem Herzen"
Für die Demonstration "Russland in meinem Herzen" werden Putin-Anhänger mobilisiert. | Bild: NDR

Nachdem junge Russen die Anti-Putin-Proteste dominierten, will der Kreml jetzt zeigen: Auch die Jugend steht zu Russland, und damit hinter Putin. Denn beides ist längst zu einer patriotischen Einheit verschmolzen. Junge Russen kennen nur ihn als Präsidenten: Er war es schon, als sie geboren wurden. Und Putin redet sympathisch, ermahnt und ermutigt, trifft den richtigen Ton. Der Jubel auf Veranstaltungen wirkt echt, und die Auftritte werden landesweit im Fernsehen verbreitet. Böse Überraschungen oder gar kritische Fragen muss Putin bei solchen Auftritten offenbar nicht fürchten: "Wovon haben Sie als Kind geträumt?", "Sind Sie nicht müde von der Verantwortung?" – Jugendliche als brave Stichwortgeber. Was sie wirklich von Putins Politik halten, lässt eine geschickte Regie solcher Treffen im Dunkeln. Kritik an Putin gilt im patriotisch aufgeladenen Russland schnell als Extremismus und Vaterlandsverrat.

Sobtschak: Gewünschter Farbtupfer im todlangweiligen Wahlkampf?

Xenia Sobtschak
Nur ein Prozent für Sobtschak – so ist die Wahl-Prognose. | Bild: NDR

Putins Gegenkandidaten haben weniger prachtvolle Kulissen: Xenia Sobtschaks Anhänger haben eine Video-Verbindung zum Putin-Kritiker Chodorkowski aufgebaut. Ljusja koordiniert Sobtschaks Wahlstab in Moskau. Sie ist erst 21 Jahre, die meisten hier sind jung. Ljusja ist seit Herbst Bezirksabgeordnete. Ein Überraschungserfolg der Opposition in Moskau machte es möglich. Frechheit siegt: Ein Gipsabdruck ihrer Brust, demonstrativ im Internet verbreitet, als politische Aussage: Ljusja stellt sich vor die Bewohner vom Abriss bedrohter Häuser. Originell und unerschrocken gehen viele junge Oppositionäre die zementierten Herrschaftsstrukturen an. Nur ein Prozent für Sobtschak ist die Wahl-Prognose, weiß auch Ljusja. Ihr politisches Programm ist chancenlos bei Putins patriotischen Anhängern. "Sobtschak hat als einen Schwerpunkt die Forderung nach kostenloser Ausbildung, ihr Programm betont die Rechte von Homosexuellen, auch auf Heirat, und sie weist, wie Alexej Nawalny, auf die Armut in der Bevölkerung hin", sagt Ljusja.

Ein kleines Zelt auf dem Triumpf-Platz, fast alle der Sobtschak-Aktivisten hier sind Anfang 20. Die Kandidatin kommt: Ksenia Sobtschak ist als Party-Girl und dann als freche Journalistin bekannt geworden. Ihre Kritiker sind skeptisch: Sobtschak ist ein vom Kreml gewünschter Farbtupfer im ansonsten todlangweiligen Wahlkampf, glauben sie. Ins Fernsehen schafft sie es trotzdem selten. "Ja, es gibt keinen gleichen Zugang zu den Massenmedien, darum sind diese Wahlen auf keinen Fall fair. Überall ist Putin. Darum reden wir auch nicht von einem möglichen Sieg. Bei uns gewinnt immer nur ein Kandidat", sagt Sobtschak. Und schon ist sie wieder weg. Im kalten Zelt sammeln ihre Freiwilligen weiter Unterschriften. Was sagen sie zum Vorwurf, als "nützliche Idioten" des Kreml eine Wahl zu legitimieren, die in Wahrheit gar keine ist? "Die Regierung begreift, dass es Alternativen zu Putin geben muss. Die Unzufriedenheit wächst und die Leute sollen ja wählen. Darum hat sie Sobtschak zur Wahl zugelassen. Die haben ihre Pläne und wir unsere. Ich bin sicher, dass Ksenia ihre nicht mit dem Kreml abgesprochen hat", sagt Helfer Michail.

Nawalny-Anhänger wollen Wahl boykottieren

Jungwähler Mischa im Inerview
Mischa ist Nawalny-Anhänger und ruft zum Boykott der Wahl auf. | Bild: NDR

Putin hau ab! Die Polizisten greifen zunächst nicht ein, obwohl die meist jungen Nawalny-Anhänger ohne Genehmigung durch Moskaus Zentrum marschieren. Sie fordern, die Wahl zu boykottieren, nachdem Nawalny nicht zugelassen wurde. Mischa ist erst siebzehn. Bei der letzten Demonstration wurde er festgenommen. Erst nachts kam er wieder frei. Sein Direktor erfuhr davon, Mischa musste die Schule verlassen. Warum riskiert er es heute trotzdem wieder? "Das ist Protest gegen diese Veranstaltung, die sie Wahl nennen, die aber in Wahrheit keine ist." "Putin, das ist doch Personenkult", meint Iwan. Über Nawalny haben die Medien zuerst nur negativ berichtet: Dass er ein US-Agent sei, alles mögliche, nicht ehrlich. Inzwischen haben sie aber sogar Angst bekommen, überhaupt über ihn zu reden, um ja keine Werbung für ihn zu machen", sagt Iwan.

"Diebe und Gauner" nennt ihr Favorit Nawalny die Regierenden. Auch wenn er, weil von den Massenmedien ignoriert, nur wenige Prozent der Wählerstimmen sammeln könnte, scheint Putin ihn zu fürchten. Vielleicht, weil Nawalny so erfolgreich junge Anhänger wie Mischa mobilisiert. Darum wurde er nicht als Kandidat zugelassen, glauben seine Anhänger hier. Ein paar Tausend sind heute gekommen, für Moskau ist das wenig.

"Putin ist der einzige würdige Kandidat"

Studentin Ira im Interview
Studentin Ira ist Putin-Anhängerin. | Bild: NDR

Zurück zum Roten Platz und den Putin-Anhängern: Nach einer weiteren patriotischen Rede wollen viele nach Hause. "Ich bin ehrlich gesagt dagegen, dass er gewählt werden muss, denn ich glaube, er ist der einzige würdige Kandidat. Er weiß, was er tut, er hat einen klaren Plan nach dem er handelt. Jetzt etwas zu verändern könnte bedeuten, dass alles schlechter wird", erklärt Ira. Die Studentin will die Wahl abschaffen – eine schönere Bestätigung seiner erfolgreichen Stilisierung als nationale Führerfigur könnte sich Putin selbst kaum ausdenken.

Autor: Udo Lielischkies, ARD-Studio Moskau

Stand: 01.08.2019 03:48 Uhr

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