Bibiana Beglau als Lucía Blanxart
Frau Beglau, Lucía ist eine der zentralen Frauenfiguren des Films. Wie lässt sie sich beschreiben?
Lucía ist eine Journalistin, die sich voll und ganz ihrer Arbeit widmet, um Recherche in der Vergangenheit ihres Landes unter dem Franco-Regime zu betreiben. Dabei bewegt sie sich auf einem schmalen Grat, auf der Suche nach ihrer Abstammung, um ihre biologische Mutter zu finden. Emotional hält sie an sich, um dem eigenen Verlustschmerz möglichst keinen Raum zu geben. Dennoch wird sie zur Rächerin an den Menschen, welche die Zwangsadoptionen möglich gemacht haben, und sie toleriert haben. Lucía ist eine einsame getriebene Figur, die versucht ihren Platz in einer Welt voller Schweigen und Lügen zu finden.
Lucia ist Journalistin und widmet ihre Arbeit den „gestohlenen Babys“. Ist sie trotz ihres persönlichen Hintergrunds in der Lage, eine professionelle journalistische Haltung zu wahren?
Diese Frage habe ich mir auch oft gestellt. In dieser Geschichte mit dieser Konstellation, würde ich diese Frage mit 'Nein' beantworten. Verlust, Angst, Einsamkeit, Verzweiflung und Rachegefühle hat Lucía nicht abgelegt, und dass lässt eine professionelle journalistische Arbeit nicht zu. Auch wenn sie Aufklärung vorantreibt, übt sie doch Selbstjustiz und wird damit selbst zu einer Täterin.
Lucias Leben wird von Suche und Aufklärung bestimmt: Suche nach der Wahrheit, ihrer eigenen Mutter und Aufklärung über die geschichtlichen Ereignisse. Wird sie jemals bei sich selbst ankommen?
Da ich die Figur sehr mag, wünsche ich ihr ein Ankommen, einen Frieden mit sich selbst zu finden und die Chancen stehen gut, da sie ihre Mutter – nach der sie sich so sehr sehnt – findet und sogar noch einige Zeit mit ihr teilen kann. Das enge und echte sowie von Liebe geprägte Verhältnis zu ihrer wahren Mutter wird wohl die Grundlage einer persönlichen Aufarbeitung bieten können, aber das ist jetzt Spekulation.
Wie wichtig ist die Bewusstmachung und Aufarbeitung solch geschichtlicher Themen in der heutigen Gesellschaft und können Spielfilme bzw. Krimis dafür ein geeignetes Medium sein?
Ich denke schon, dass wir mit unseren Geschichten, zu denen auch Krimis gehören, ein Verständnis bei den Zuschauer:innen auslösen können – auch, um andere Sichtweisen einnehmen zu können. Mit unserem Film können wir zum Beispiel zeigen, was es heißt, in einer Diktatur zu leben. Was sind die Auswirkungen solcher Systeme, und wie weit reichen diese in die Gegenwart? Warum verlassen Menschen ihre Heimat und suchen Schutz und Zuflucht in Ländern, die ihnen eine Zukunft und Sicherheit geben können?
In „Totgeschwiegen“ wird die jüngste Vergangenheit Spaniens thematisiert, die Franco-Diktatur. Haben Sie sich mit den spanischen Team-Mitgliedern dazu ausgetauscht? Für wie wichtig halten Sie die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit?
Dass wir als Europäer:innen immer wieder unsere Geschichten mit ihren sehr individuellen Vergangenheiten aufarbeiten, finde ich richtig und gut. In „Totgeschwiegen“ wird eine Geschichte erzählt, wie sie in fast jeder Diktatur oder in kriegerischen Zuständen vorkommt. Spanien ist da keine gesonderte Ausnahme. Aber unsere Geschichte spielt dort. Es könnte aber auch woanders sein, z.B. in Deutschland, dem ehemaligen Jugoslawien, Rumänien oder jetzt in der Ukraine. Selbstverständlich haben wir mit dem spanischen Team darüber gesprochen, und es ist noch immer und auch in der jüngeren Generation ein Thema. Vielleicht auch weil sich die Kirche in dem Land instrumentalisieren ließ und sich nicht vom politischen System distanziert, sondern sogar sehr eigene und kreative Wege gefunden hat, die Repressalien der Diktatur für ihre Zwecke zu benutzen.
Dass es zu wenige gute Rollen für Frauen ab 47 Jahren gibt, ist momentan in aller Munde. Teilen Sie diese Haltung? Welche Veränderungen beobachten Sie in der Branche?
Zu wenig gute Rollen wäre noch was. Dass es überhaupt Rollen gibt – wäre ja schön. Es ändert sich etwas, aber zu langsam. Es wird gekämpft und gesprochen, und es ist auf dem Tisch. Aber trotzdem sind es immer dieselben wenigen Gesichter, und diese gelten dann auch gerne als Ausrede, dass sich doch schon eine Menge getan hätte auf diesem Gebiet. Aber das hat es nicht.
An welche Begebenheit, welche Begegnung während der Dreharbeiten werden Sie sich noch lange erinnern?
Ich bin mit meinem Kollegen Clemens Schick nach der Arbeit zu Fuß durch die Stadt nach Hause gelaufen. Wir wohnten nicht sehr weit voneinander entfernt. Es war ein wunderbarer Sonnenuntergang, der in allen Farben changierte. Clemens zeigte mir einen Markt, der unter einem riesigen kubistischen Dach war, das aus goldenen Dreiecken zu bestehen schien. Das Licht spiegelte sich und warf irre Muster auf die klitzekleinen Läden. Es war kaum zu unterscheiden, wo oben und unten war. Während des Drehzeitraumes suchte ich diesen Markt immer wieder auf, aber nie wieder war das Licht und der Eindruck so sensationell.