Gespräch mit Drehbuchautor Stefan Dähnert

„Leider ist sehr viel wahr an der Geschichte“ 

Gespräch mit Drehbuchautor Stefan Dähnert über Kindesmissbrauch in der Katholischen Kirche, das System des Schweigens und Kommissar Falke als Prediger.

Bischof Zeul (Erich Krieg)
Bischof Zeul  | Bild: NDR / Kai Schulz

Es ist das erste Mal, dass ein „Tatort“ vom Kindesmissbrauch in der Kirche erzählt. Wer gab den Anstoß dazu? 
Christian Granderath, der Fernsehfilmchef des NDR, fand es unfassbar, dass eines der größten Serienverbrechen der letzten Jahrzehnte vom „Tatort“ bisher verschont geblieben ist. Daraufhin fing ich an zu recherchieren. Dann kam ein aktueller Fall dazu, der derzeit bei der Staatsanwaltschaft Saarbrücken anhängig ist. 

Worum geht es in dem Fall?   
Ein Polizeibeamter hatte im Haus seines verstorbenen Onkels nach dessen Geburtsurkunde gesucht für die Beerdigung - und kinderpornografisches Material gefunden. Der Priester aus dem Bistum Trier hatte Tausende Fotos und Dias. Vermutlich wurden diese Fotos in bestimmten Kreisen rumgereicht. Man dachte ja, man hat schon alles über den Missbrauch in der Katholischen Kirche erfahren. Aber dass es Priester gab, die Kinder untereinander geteilt haben, das wurde uns hier erst klar. Patrick Poch, unser Redakteur, hat sich sehr intensiv mit dem Fall beschäftigt und Kontakt zu Lars Hennemann aufgenommen, dem Chefredakteur der „Rhein-Zeitung“, die als Erstes über den Fall berichtete. Und so kam immer mehr heraus. Patricks Recherche war praktisch die Blaupause für mein Drehbuch. Ich habe dann bei der Staatsanwaltschaft nachgefragt: Wenn wir behaupten, es hat in der Katholischen Kirche einen Pädophilen-Ring gegeben, kriegen wir dann Ärger? Die Antwort lautete: nein. Leider ist sehr viel wahr an unserer Geschichte. 

Hat sich die Kirche an der Aufklärung beteiligt?  
Im vorliegenden Fall hat der Trierer Bischof den Neffen gewarnt, lieber zu schweigen und sich selbst nicht strafbar zu machen – durch den Besitz kinderpornografischen Materials. Das war entweder irre naiv oder zynisch. Auf jeden Fall macht es das System des Schweigens deutlich: Man hält die Klappe, weil man selber mit drinhängt. Das war für mich wirklich neu. 

Haben Sie den Stoff originär für den „Tatort“ mit Kommissar Falke entwickelt?  
Ja. Es gibt wohl keinen anderen ermittelnden Kommissar der ARD, dem Glaubensdinge ferner lägen als Falke. Das war ausschlaggebend.   

Es ist Falkes erster Fall nach dem gewaltsamen Tod seiner Partnerin. In welchem psychischen Zustand finden wir ihn vor in diesem katholischen Kloster? 
Zuerst wollten wir Falke am Boden zerstört zeigen. Aber dann kamen wir drauf, dass es wichtig ist, mittels seiner Genesung zu erzählen, welche Bedeutung Kirche heute noch hat, wenn sie an bestimmten sensiblen Punkten in unserem Leben Hilfe bietet, uns wieder aufhilft und Orientierung gibt.  

Sehen wir Falke zu Beginn anders als in früheren Folgen: entsetzt, sprachlos, erschüttert angesichts dieser schrecklichen Verbrechen?  
Falke ist zunächst als Zivilist zu sehen, der freiwillig im Kloster ist. Dann wird er als Polizist gefordert, macht seine Arbeit und versucht einfach, diesen Fall zu lösen. Aber irgendwann kommt er heraus aus dieser neutralen Position und stößt an seine mentalen Grenzen. Das ist das Besondere. Das, was da geschieht, ist auch schwer zu verstehen und noch schwerer zu ertragen. Ob er ein Gefühlsmensch ist? Ich würde ihn ungern so sehen.

Mir gefällt seine raue Schale, die hier sukzessive aufgebrochen wird. Das Tröstliche ist: Falke ist nicht allein. Die Freundschaft zu Daniel, den Florian Lukas so wunderbar spielt, macht Spaß. Dass dieser Freund ausgerechnet eines der Opfer ist, ist unser dramatischer Hebel.  

Erzählen Sie einen Klosterthriller? 
Das war es tatsächlich, was wir uns anfangs gewünscht haben. Aber dann kamen bei der Recherche immer mehr unerträgliche Tatsachen zutage, dass ich irgendwann mein Drehbuchhandwerk einfach liegen ließ und nur noch versucht habe, die Erkenntnisse möglichst nüchtern für sich sprechen zu lassen. Und dann zu gucken, wie es wirkt, wenn so langsam durchsickert, in welchen Dimensionen wir uns hier bewegen.  

In einer Szene liest Falke der Kirche die Leviten und spricht wie ein Prediger von der Kanzel herab. 
Mir hat die Szene sehr gut gefallen. Da haben der Regisseur Lars Kraume und Wotan Wilke Möhring Großartiges geleistet. Wir waren ja alle sprachlos von den Ergebnissen der Recherche. Dann Falke loszulassen, der das Maul aufreißt, hat Wotan Spaß gemacht und nützte auch unserer seelischen Hygiene. 

Falkes Gegenspieler ist der Generalvikar. Er schützt die Institution der Kirche, stellt sich aber intern gegen die Täter. Wofür steht diese Figur? 
Der Generalvikar steht pars pro toto für die guten Leute in der Kirche, die fortwährend in einem schlimmen Loyalitätskonflikt stehen. An diesem irren Konflikt würde ich auch verzweifeln. Man muss ja wissen: Als katholischer Priester hat man nur einen Arbeitgeber. Man kann ja nicht einfach zu evangelischen Konkurrenz wechseln. 

Worauf kam es Ihnen an in der Darstellung der Opfer?  
Da habe ich echt dazu gelernt. Zum Bespiel, dass sich Betroffene nicht selbst als „Opfer“ bezeichnen. Ihnen ist etwas widerfahren, was jedem von uns hätte passieren können. Auch die Vorstellung, dass Opfer zwangsläufig zu Tätern werden, hinterfragt dieser Film kritisch. Ich habe mittlerweile eine sehr hohe Meinung von denjenigen, die sich trauen, offen darüber zu sprechen, was ihnen widerfahren ist. Ich finde Verdrängung nachvollziehbar, wenn auch nicht gesund. Die Scham, nicht darüber reden zu können, aus Angst, in unserer Leistungswelt als Looser abqualifiziert zu werden, ist auch gesellschaftlich von Bedeutung. 

Wie erklären Sie sich solche Verbrechen? Trägt das Zölibat eine Mitschuld?  
Ich glaube, man macht es sich zu einfach, wenn man sagt, durch die Enthaltsamkeit stauen sich so viele sexuelle Triebe auf, die müssen einfach mal raus. Ich glaube vielmehr, dass Menschen mit pädophiler Neigung sich bewusst in den Zölibat begeben, um ihre Sexualität in den Griff zu bekommen. Dieses Grundübel macht die Katholische Kirche zu einem Sammelbecken von Menschen, die Probleme mit ihrer Sexualität haben.   

Wie halten Sie es mit der Kirche?  
Ich bin ökumenisch sozialisiert worden. Lars ist Katholik. Für uns beide gehört die Kirche zum täglichen Leben. Das macht die Sache nicht einfacher. 

1 Bewertungen
Kommentare
Bewerten

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Bitte beachten: Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern werden innerhalb von 24 Stunden durch die Redaktion freigeschaltet. Es dürfen keine externen Links, Adressen oder Telefonnummern veröffentlicht werden. Bitte vermeiden Sie aus Datenschutzgründen, Ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Fragen zu den Inhalten der Sendung, zur Mediathek oder Wiederholungsterminen richten Sie bitte direkt über das Kontaktformular an die ARD-Zuschauerredaktion: https://hilfe.ard.de/kontakt/. Vielen Dank!

*
*

* Pflichtfeld (bitte geben Sie aus Datenschutzgründen hier nicht Ihre Mailadresse oder Ähnliches ein)

Kommentar abschicken

Ihr Kommentar konnte aus technischen Gründen leider nicht entgegengenommen werden

Kommentar erfolgreich abgegeben. Dieser wird so bald wie möglich geprüft und danach veröffentlicht. Es gelten die Nutzungsbedingungen von DasErste.de.