Gespräch mit Florian Lukas

„Daniel ist eine verlorene Kinderseele, die im Körper eines alternden Mannes steckt“   

Gespräch mit Florian Lukas über seine Darstellung eines Missbrauchsopfers und die Verantwortung, die er als Schauspieler gegenüber den Betroffenen empfunden hat.

Daniel Weinert (Florian Lukas) trägt ein furchtbares Geheimnis mit sich herum.
Daniel Weinert trägt ein furchtbares Geheimnis mit sich herum. | Bild: NDR / Kai Schulz

„Warum ich?“ ist eine Frage, die Daniel Weinert nicht loslässt. Warum hat Pastor Otto damals ihn in seinen Wohnwagen gebeten? Er hat sich doch nichts zuschulden kommen lassen. Im Gegenteil: Er war doch schon gestraft genug. Hilflos hat Daniel damals zusehen müssen, wie sich sein betrunkener Vater versehentlich selbst anzündet und verbrennt.
Immer wieder hat er versucht, sein Leben auf die Reihe zu bekommen, aber weder Beziehungen noch Ausbildungen oder Jobs haben dauerhaft funktioniert. Immer gab es den Punkt, an dem Kopf und Körper dichtgemacht haben. Da konnte der Wille noch so stark sein, die Vergangenheit hat ihn fest im Griff.
Seinen eigenen Sohn konnte er kaum anfassen, die Bindung ist

nach der Trennung der Mutter gänzlich gerissen. Daniel wohnt noch bei seiner Mutter. Im Kloster lernt Daniel Thorsten kennen. Ein guter Typ. Sie freunden sich an. Für Daniel keine kleine Sache. Ein Freund muss immer sofort kommen, wenn man ihn ruft. Immer. Sofort. Aber er soll kommen, um zu helfen, und nicht, um neugierige Fragen zu stellen.
Dass sich Daniel hier im Kloster aufhält, ist kein Zufall. Pastor Otto ist wieder hier. So wie früher. Fußball spielen war einmal ein Ausweg, ein Hoffnungsschimmer, eine Gelegenheit, sich gut, stark und eingebunden zu fühlen. Dabei hat Pastor Otto geholfen – um dann alles zu zerstören. Es gibt einiges zu klären. 

Sie spielen Daniel Weinert, der als Ministrant in einem katholischen Kloster missbraucht worden ist. Noch mehr als 30 Jahre später leidet er unter der Tat. Wie haben Sie seinem Schmerz Ausdruck verliehen? 
Ich habe mich darauf konzentriert, dass meine Figur eine kindliche Seele geblieben ist. Daniel ist eine verlorene Kinderseele, die im Körper eines alternden Mannes steckt. Diese Vorstellung habe ich in meine Körpersprache und ins Kostümbild zu übersetzen versucht. Er läuft auf dem Klostergelände herum wie ein vernachlässigter kleiner Junge. Die Ärmel seines Pullovers sind so lang, dass die Hände verborgen sind. Weil ich stark kurzsichtig bin, trage ich beim Drehen normalerweise Kontaktlinsen. Für den „Tatort“ habe ich die Linsen weggelassen, um mein Wahrnehmungsradius zu verringern. Es sollte mir dabei helfen, einen Menschen zu spielen, der nicht mehr in der Lage ist, viel weiter zu denken und zu fühlen, als sein Arm reicht.  

Haben Sie recherchiert, was in den Opfern sexuellen Missbrauchs in der Kirche vor sich geht? 
Zu meinem Glück gibt es Männer, die willens und in der Lage sind, darüber in Reportagen offen zu sprechen. Ich habe mir angeschaut, wie sie über die Taten berichten, die ihr ganzes Leben beeinflusst haben. Das soll jetzt nicht zu harmlos klingen. Für mich ist es eigentlich wie Mord. Die Tötung einer Kinderseele, die sich davon wahrscheinlich nicht mehr erholen wird. Dass es die Opfer trotzdem schaffen, über ihre Erfahrungen vor der Kamera zu erzählen, hat mich sehr beeindruckt. Ich habe eine große Verantwortung gefühlt, diesen Männern meine Stimme und mein Gesicht zu geben und zumindest ansatzweise nachzuerzählen, was sie erlitten haben.   

Haben Sie sich auf diese Rolle länger als sonst vorbereitet, damit keine falschen Noten ins Spiel kommen? 
Ich bin in der Vorbereitung grundsätzlich sehr pedantisch, egal, welches Thema ich anfasse. Ich gehe immer mit großem Ehrgeiz daran, eine Figur in ihren psychologisch-emotionalen Zusammenhängen so wahrhaftig wie möglich zu erzählen. Natürlich kann man in einem fiktionalen Format wie dem „Tatort“, das sich an ein größeres Publikum richtet, inhaltlich nicht so ins Detail gehen wie in einer Reportage. Trotzdem fühle ich eine gewisse Verpflichtung, das Thema ernst zu nehmen und nicht zu sagen, na ja, wir machen hier ja Fiktion und setzen unsere eigene Geschichte um.

Ich möchte nicht, dass ein Missbrauchsopfer vor dem Fernseher denkt, da kommt irgendein Schauspieler, der für eine gewisse Summe Geld so tut, als wenn er etwas richtig Furchtbares erlebt hätte.  

Machen sich die Täter keine Vorstellung davon, was sie den Kindern antun? 
Es ist schwer nachzuvollziehen, warum im Rahmen der Kirche Gott als übergeordnete moralische Instanz nicht funktioniert, die solche Verbrechen verhindert. Ich denke, dass die Täter der Kirche nicht wirklich an Gott glauben. Besonders diejenigen Männer, die selber Missbrauch erfahren haben und in einer kindlichen Entwicklungsstufe stehengeblieben sind, sitzen vermutlich der Illusion auf, sie würden den Kindern etwas Gutes tun, ihnen Aufmerksamkeit und Zuwendung geben. Es trifft ja vor allem Kinder, die in ihrem Elternhaus nicht die Liebe und Fürsorge bekommen.  

Warum kehrt Daniel als Erwachsener an das Kloster zurück? Was ist sein Hauptmotiv? 
Er will sein Leben zurück. Männer wie Daniel haben das Gefühl, ihnen wurde etwas gestohlen. Da ist ein Loch in ihrem Leben, und sie glauben, dass die Leute, die es verursacht haben, auch verpflichtet sind, es wieder aufzufüllen. Und die Wunden zu heilen. Es ist nicht der Gedanke an Rache, der Daniel antreibt, sondern der Wunsch, etwas zurückzubekommen: eine gewisse Unschuld, ein kindlicher Frieden, ein Vertrauen in die Menschheit. Für ihn war die Kirche ein Familienersatz, der ihn enttäuscht und schwer verletzt hat.  

Herrschte beim Drehen im Kloster eine ganz besondere Atmosphäre? Besser; Wie haben Sie die Atmosphäre am Set beim Dreh im Kloster wahrgenommen? 
Wenn sich ein Filmteam wochenlang in einem großen, leerstehenden Kloster aufhält, dann stellt sich eine ganz andere Intimität ein als bei einem normalen Dreh. Die Historie, das Gebäude, die alten Schränke und Möbel, die Kreuze, Bilder und Pieta-Skulpturen, das alles atmete eben auch und sickerte so in die Darstellung ein. Regisseur Lars Kraume hat ein umsichtiges Team zusammengestellt, das uns Schauspielern ermöglichte, etwas emotional so Bewegendes entstehen zu lassen. Ich kenne Lars seit 30 Jahren. Er mag keine Künstlichkeit, sondern sucht immer den geraden Weg.  

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