Gespräch mit Wotan Wilke Möhring
„Ähnlich wie Falke bin ich ohne Kirche aufgewachsen“
Gespräch mit Wotan Wilke Möhring über Falkes Auszeit im Kloster, über den hoch emotionalen „Tatort“ und sein persönliches Verhältnis zum Glauben.
Der Schock sitzt tief bei Thorsten Falke. Der plötzliche Tod seiner Kollegin Julia Grosz hat ihn aus der Bahn geworfen, an Ermittlungsarbeit war erstmal nicht zu denken. Im Kloster St. Joseph versucht Falke, wieder zu sich selbst zu finden. Gläubig ist er nicht, aber die rituell-routinierte Tätigkeit soll es richten. Bei der Apfelernte helfen, die Messe besuchen, einfache Unterkunft und am Ende eine Bescheinigung – so will Falke seine Dienstfähigkeit wiederherstellen. Sogar einen Freund findet Falke, den labilen Daniel, der sich von zahllosen Rückschlägen im Kloster erholt, aber leider keinen Schnaps mag. Womit Falke nicht gerechnet hat: Das Böse macht auch vor den Klostermauern nicht Halt. Pastor Otto, Trainer einer Jungen-Fußballmannschaft, verbrennt in einem Wohnwagen im Klosterhof.
Sofort setzt unwillkürlich Falkes Profimodus ein. Er betrachtet argwöhnisch die schlampig arbeitende Feuerwehr und findet, als er in Ottos Büro nach seinem zugesagten Entlassungsschreiben sucht, einen Keller voller erschütternder Beweise: Otto war ein krimineller Pädophiler. Bisher war „Sympathy for the Devil” nur Falkes Klingelton, jetzt droht es zu einem echten Gefühl zu werden. Den Kirchenvertretern scheint ihre Institution wichtiger zu sein als die geschundenen Seelen der Opfer. Falke kommt an seine Grenzen. Nach der Sichtung von Hunderten Fotos kann er nicht mehr, eine Kollegin übernimmt. Die Regeneration ist zum Teufel. Aber schneller als die Verzweiflung ist der Zorn gewachsen. Und Zorn war schon immer Falkes stärkster Antrieb.
Nach dem Tod seiner Partnerin hat sich Kommissar Falke in ein Kloster zurückgezogen. Ist seine Psyche angeknackst?
Falke war nicht vor Ort, als sie starb. Er ist zu spät gekommen. Diese Gedanken lassen ihn nicht los. Sie gehen mit Selbstvorwürfen einher und mit Fragen nach dem Beruf an sich: Nützt es überhaupt jemandem, was ich hier tue? Um zur Ruhe zu kommen, wird er von oben angewiesen, sich in einem Kloster eine Arbeitsauszeit zu nehmen. Falke sucht im Kloster nicht die Nähe zu Gott, sondern einfach Abstand. Die einfachen Arbeiten im Klostergarten tun ihm tatsächlich gut. Hier fragt ihn keiner, woher kommst du, was machst du, warum bist du hier?
Wie steht Falke zur Kirche?
Als Arbeiterkind hat er nie etwas mit ihr zu tun gehabt. Die Kirche zuhause war die Gewerkschaft. Seine Erlebnisse im Kloster machen es noch einmal schwieriger, sich mit der Kirche anzufreunden.
Geht er noch mehr auf Distanz?
Er ist entsetzt darüber, dass eine Institution, an die man sich wendet, wenn es einem schlecht geht, ihre Macht so fürchterlich missbraucht. Und sich an den Schwächsten der Schwachen vergeht. Es sind für ihn unfassbare Verbrechen, die man von vorne bis hinten aufklären und aufarbeiten muss.
Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zur Kirche?
Ähnlich wie Falke bin ich ohne Kirche aufgewachsen und die Kirche als Institution brauche ich nicht. Als Besucher mag ich die Stille und Kühle von Kirchen, besonders in südlichen Ländern wie Spanien. Wenn in den sakralen Bauten das Gold und die Opulenz dominieren, dann ahne ich, dass es hier wahrscheinlich nicht nur um Glauben ging. Ich verstehe aber, dass es Glauben gibt. Wir brauchen den Glauben, um mit Dingen in der Welt klarzukommen, die wir nicht erklären können.
Wie reagiert Falke, als er im Klosterkeller pornografische Fotos entdeckt, die den Missbrauch von Kindern zeigen?
Wir durften und wollten ja nicht solche Bilder zeigen, sondern mussten allein über Falkes Reaktion deutlich machen, was er sieht und welche furchtbaren Verbrechen im Kloster geschehen sind. Es war nicht so leicht, das darzustellen. Falke klickt sich durch die Diasammlung, und der Zuschauer sieht, wie es ihn menschlich mitnimmt.
In seinem Gesicht stehen Ekel und Entsetzen. Als die örtliche Kollegin die Ermittlungen verschleppt, da erwacht der Kämpfer in Falke.
Entspinnt sich dann die Geschichte: ein Mann allein gegen die Kirche?
Dann eher: Falke allein gegen das Böse. Die Kirche als Institution wird in unserem „Tatort“ nicht angegangen, sondern wir thematisieren ihre schlimmsten Auswüchse, den Missbrauch von Macht, das System von Vertuschen und Verheimlichen, und das fatale Schweigegelübde, das noch heute über dem Gesetz steht. Mit alledem beschäftigt sich die Kirche nur mangelhaft, zu ihrem eigenen Nachteil. Die Taten, von denen wir erzählen, mögen längst verjährt sein. Aber die Menschen leiden noch immer unter dem, was ihnen angetan wurde. Mir ist bewusst, die Kirche tut auch unendlich viel Gutes, zum Beispiel im Sozialen und in der Pflege. Ohne deren Engagement sähe es in unserem Land anders aus. Trotzdem muss die Kirche sich diesen unerträglichen, immer und immer wiederkehrenden Missbräuchen stellen und Verantwortung übernehmen.
Was können Sie über die Zusammenarbeit mit Lars Kraume berichten?
Mit Lars zu drehen war eine Offenbarung. Er ist ein sehr intelligenter Regisseur, der immer genau wusste, was er will, und der den Mut hatte, in Szenen auch mal dazwischenzugehen und zu sagen: Wartet mal, es geht in dieser Szene um etwas völlig anderes! Es war auch wichtig, dass er sich mit der Katholischen Kirche gut auskennt. Da war kein Hass oder Unwissen. Er ging immer mit großer Kenntnis an die Szenen heran.
Was macht diesen „Tatort“ aus?
Es ist ein emotional herausfordernder und mutiger Film, allein auf Grund des Themas, kein typischer Whodunit-Krimi, in dem am Ende ein Einzeltäter zur Strecke gebracht wird. Im Fokus steht ein uraltes, antikes kirchliches System, das Missbrauch begünstigt und die Täter in Schutz nimmt. Die Geschichte ist leider sehr nah an der Wirklichkeit. Umso größer ist mein Respekt für das Bistum, in dessen Kloster wir den „Tatort“ drehen durften. Die Verantwortlichen haben das Buch ja vorher gelesen. Mit diesem Einverständnis hat das Bistum versucht, einen wichtigen Beitrag zu leisten.
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