Gespräch mit Regisseur Lars Kraume
„Wir halten die Debatte am Leben, dass großes Unrecht noch nicht ausgeräumt ist“
Regisseur Lars Kraume über die Inspiration des Drehorts, seine gradlinige Inszenierung und warum ihn die Missbrauchsfälle nicht zum Kirchenaustritt bringen
Haben Sie lange nach einem Kloster als Drehort suchen müssen?
Viele Klöster, die wir uns angeschaut haben, wollten mit dem Thema nicht in Verbindung gebracht werden. Dann entdeckte unsere Szenenbildnerin Ina Timmerberg das leerstehende Trappisten-Kloster Heimbach. Zu unserem Glück sagte das katholische Bistum zu: Ihr könnt‘ eure Geschichte dort erzählen. Die Trappisten sind ein Schweigeorden mit akuten Nachwuchsproblemen. Ihr Kloster war noch vollkommen ausgestattet. Man hatte das Gefühl, die letzten Ordensbrüder wären gerade erst ausgezogen. Ich betrachte die Zusage als Zeichen der Katholischen Kirche, sich der Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels nicht in den Weg stellen zu wollen. Der Ort war eine große Inspiration für uns. Stefan Dähnert hat noch einmal am Drehbuch gefeilt, damit die Geschichte genau in dieses Motiv hineinpasst.
Wollten Sie einen Klosterthriller drehen? Tatsächlich ist „Der Name der Rose“ ein bisschen Vorbild gewesen. Die geschlossene Gemeinschaft, in der die Verbrechen stattfinden, das Schweigen der Ordensbrüder: Das ist schon die Idee des Films.
Ihr Film zeigt weder die Verbrechen noch die Beweise der Verbrechen. Woran liegt das?
Es war uns ganz wichtig, dass man in der Ermittlungsarbeit die belastenden Beweise nicht sehen darf. Weil man ansonsten die sexualisierte Gewalt an den Kindern, die auf Fotos festgehaltenen pornografischen Darstellungen, reproduziert und damit wieder neues Material für entsprechende Menschen herstellt. Wie schrecklich die Taten sind, spiegelt sich in den Gesichtern der Ermittler, die das Material sichten.
Man hat Wotan Wilke Möhring als Kommissar Falke selten so sprachlos gesehen.
Es war meine erste Zusammenarbeit mit Wotan. Man denkt oft, dass er so ein lockerer und kumpelhafter Typ ist. Umso mehr war ich begeistert von seiner Konzentration und Ernsthaftigkeit. Natürlich findet er im Verlauf des Films seine Sprache zurück: Falke wird zum säkularen Prediger gegen den Missbrauch in der Kirche und führt seinen eigenen Kreuzzug.
Haben Sie mit Florian Lukas lange darüber gesprochen, wie er das Opfer eines Missbrauchs spielen soll?
Das war nicht nötig. Florian war der erste professionelle Schauspieler, mit dem ich an der Filmhochschule vor rund 30 Jahren gearbeitet habe. Weil wir schon so viele Filme zusammen gemacht haben, weiß ich genau, wie gewissenhaft sich Florian auf seine Rollen vorbereitet. Er spielt im Kern einen Mann, dem als Kind Traumatisches zugefügt wurde. Die Zeit vergeht, aber er verharrt an dieser einen Stelle seines Lebens. Florian ist eine geniale Besetzung, weil man immer noch diesen Jungen in ihm sieht. Er hat die Rolle wahnsinnig toll gespielt.
Hat beim Drehen manchmal eine beklemmende Stimmung geherrscht?
Jede Geschichte strahlt immer ein bisschen auf die Stimmung am Set aus. Man steht in der Klosterkirche und dreht irgendwelche Szenen, das ist zum Teil nur ein technischer Prozess. Aber ich bin katholisch, und ich betrete keine Kirche, ohne mich zu bekreuzigen. Dementsprechend ist das Kloster für mich ein anderer Schauplatz als ein Fußballfeld.
Sind Sie Kirchgänger?
Gelegentlich. Und wenn Sie mich fragen, nein, ich werde nicht aus der Kirche austreten. Ich werde auch nicht Anti-Demokrat, nur weil ich weiß, dass im Namen der Demokratie Kriege geführt werden. Wir müssen überall dafür kämpfen, das Gerechtigkeit entsteht. Aber einfach die Institution zu verlassen, halte ich nicht für den richtigen Umgang. Diese Missbrauchstaten haben bevorteilt durch das System der Kirche stattgefunden. Man muss die Verbrechen aufklären und verhindern, dass weitere geschehen. Das ist die dringliche Aufgabe, und deshalb lässt sich der Widerspruch aushalten: Ich kann Katholik sein und einen Film über diese Verbrechen drehen.
Welche Reaktionen der Kirche erwarten Sie auf Ihren Film?
Eine weiterhin notwendige und anhaltende Diskussion über die Verbrechen, die in der Kirche verübt wurden.
Haben Sie in Ihrem Film eine möglichst realistische Erzählweise angestrebt?
Die Frage, wie hier Gerechtigkeit in die Welt kommt, macht unsere Erzählung zugleich kompliziert und interessant. Wir wollen mit unserem Film ja nicht die Opfer aufrufen: Nehmt‘ euch eine Waffe und erschießt‘ die Pfarrer! Das wäre vielleicht die Dramaturgie eines Rachethrillers. Ich habe stattdessen versucht, mich an der Realität zu orientieren, in der Rache als Motiv nicht vorkommt, um die Geschichte möglichst genau, einfach und gerade zu inszenieren.
Haben Sie eine Verantwortung gegenüber den Betroffenen gespürt, die ja auch zuschauen werden?
Es sind so viele Menschen von diesen Ereignissen betroffen. Nicht nur die Opfer und Täter, sondern auch die vielen anderen, die für ihre Mitgliedschaft in der Katholischen Kirche in Haftung genommen werden. Und dann kommen wir Filmemacher daher und greifen die Verbrechen für einen 90-minütigen Primetime-Krimi auf. Es ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ist es fast zu profan, weil es der Komplexität der Wirklichkeit niemals gerecht werden kann. Andererseits erreichen wir viele Millionen Zuschauer und halten die Debatte am Leben, dass hier großes Unrecht noch nicht ausgeräumt ist und man weiter im Blick behalten muss, dass Kinder den sexuellen Übergriffen von Erwachsenen ausgesetzt sind. Es ist richtig, den Film zu machen.
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