Eva Zahn und Volker A. Zahn (Buch) im Interview
Im neuen Fall von Ballauf und Schenk geht es um Prostitution. Die Kommissare ermitteln in einem Eroscenter, während der Betrieb dort scheinbar ganz normal weiterläuft. Wie sind Sie bei der Recherche für diese Geschichte vorgegangen?
Volker A. Zahn: Wir verschaffen uns immer zuerst einen Gesamtüberblick, um zu eruieren, welcher Aspekt uns an einem Thema interessiert. Worüber können wir zugleich relevant und emotional erzählen? Das bedeutet: Viel sprechen, viel lesen, viel beobachten, viel zuhören. Beim Thema „Prostitution“ war es uns wichtig, nicht in die Klischeefalle zu tappen und den Prostituierten eine stereotype Opferrolle zuzuschreiben. Wir wollten die Frauen hinter dem Etikett „Sexarbeiterin“ sichtbar machen: ihre Träume, ihre Sehnsüchte, ihre Alltagsnöte, ihre kleinen Fluchten, ihre Suche nach dem Glück… und auf der anderen Seite die Unmöglichkeit, ein richtiges Leben im falschen zu führen, das Wissen um die eigene Käuflichkeit und Verfügbarkeit, die Gewöhnung daran, dass jeden Tag mehrere wildfremde Männer wie selbstverständlich und wenig freundlich in dich eindringen und du ihnen im schlimmsten Fall auch noch vorspielen musst, dass dir das gefällt.
Sie schreiben Ihre Drehbücher im Team. Gab es bei diesem „Tatort“ explizit eine weibliche und eine männliche Perspektive auf den Fall?
Volker A. Zahn: Ohne auf Freier- oder Bordellerfahrungen zurückgreifen zu können, sind mir die männlichen Abgründe wahrscheinlich näher, aber wir positionieren uns beim Schreiben nicht bewusst nach Geschlechterrollen.
Prostitution ist weit verbreitet und findet doch meist im Verborgenen statt. Sollte das Thema Ihres Erachtens mehr in der öffentlichen Diskussion stehen?
Eva Zahn: Auf jeden Fall. Deshalb haben wir uns ja für dieses Thema entschieden. Wir nehmen es als Gesellschaft einfach hin, dass Männer bezahlen, um Frauen wie einen Gegenstand zu benutzen. Gerade für junge Männer scheint es mittlerweile völlig normal zu sein, in den Puff zu gehen. Niemand macht sich Gedanken darüber, was mit diesen Frauen passiert, wie sehr sie diese „Arbeit“ traumatisiert und entmenschlicht. Und das Argument, man müsse das hinnehmen, weil es Prostitution ja schon immer gegeben hat, finde ich, ehrlich gesagt, ziemlich bizarr. Diebstahl und Mord hat es auch schon immer gegeben, beides ist trotzdem aus gutem Grunde verboten.
Hat sich Ihre persönliche Haltung zum Thema Prostitution durch Ihre Arbeit an diesem Tatort verändert?
Eva Zahn: Ja, ich bin noch entschiedener zu einer Befürworterin des „Nordischen Modells“ geworden. Das heißt: Entkriminalisierung der Prostituierten, Kriminalisierung der Sexkäufer und Betreiber, sowie Finanzierung von Ausstiegsprogrammen für die Frauen. Als 2001 das Prostitutionsgesetz verabschiedet wurde, hielt ich das für eine gute Idee. Ich dachte, man würde die Frauen besser schützen können, wenn man ihre Arbeit legalisiert. Aber diese Hoffnung auf mehr Schutz hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil. Vertreterinnen von Huren-Organisationen wollten uns bei der Recherche davon überzeugen, dass Sexarbeit ein Beruf wie jeder andere ist. Das hat sich aber für mich nicht bestätigt. Wenn man tiefer in die Thematik eintaucht und Aussteigerinnen, Sozialarbeiterinnen und Therapeutinnen zuhört, muss man zu dem Ergebnis kommen, dass die Sexindustrie ihren exorbitanten Profit allein durch Gewalt und die Ausbeutung der Frauen erzielt. Und wenn man sich zu guter Letzt auch noch in den Freier-Foren umtut und liest, was Männer dort von sich geben, wie sie ihre Macht missbrauchen, Frauen erniedrigen und es als ihr gutes Recht ansehen, ihre Bedürfnisse rücksichtslos durchzusetzen, weil sie ja dafür bezahlt haben, dann wird mir endgültig schlecht. Da macht sich niemand Gedanken darüber, wie es der Frau mit der Situation geht, ob sie freiwillig anschafft oder wie alt sie ist.
Volker A. Zahn: Die Prostituierten haben leider keine echte Lobby, sie sind, wie es im Polizeisprech heißt, eine Personengruppe ohne große „Beschwerdemacht“. Die Berufsorganisationen, die es gibt, vertreten lautstark nur eine Minderheit privilegierter Frauen, die freiwillig und angeblich sehr gerne anschaffen. Aber die Masse der Sexarbeiterinnen bleibt ungehört – und das in einem Business, in dem auf dem Rücken der Prostituierten das ganz große Geld gemacht wird. Es ist absolut widersinnig: Da wird auf vielen gesellschaftlichen Ebenen endlich über die von Männern gemachten Strukturen diskutiert, die Machtmissbrauch und Gewalt gegen Frauen ermöglichen oder begünstigen, und gleichzeitig darf Mann sich mit großer Selbstverständlichkeit und politischer Rückendeckung in diesen Paysex-Freiräumen beinahe ungehemmt und unbehelligt austoben.
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