Hüseyin Tabak (Regie) im Interview

Hüseyin Tabak (Regie)
Hüseyin Tabak (Regie) | Bild: WDR / Martin Valentin Menke

Geboren 1981 in Bad Salzuflen. FILM / FERNEHEN: „Oskars Kleid“ (Kino, 2022, ausgezeichnet mit dem Bambi 2023 in der Kategorie „Film National“ ), „Strafe – Der Dorn“ (2022), „Tatort – Borowski und der Fluch der weißen Möwe“ (2020), „Gipsy Queen“ (Kino, 2019, ausgezeichnet u. a. als „Bester Film“ beim Tallinn Black Nights Filmfestival 2019), „Die Legende vom hässlichen König: Yilmaz Güney“ (Kino, 2017, ausgezeichnet mit dem Hofer Dokumentarfilmpreis 2017), „Das Pferd auf dem Balkon“ (Kino, 2013, ausgezeichnet mit dem Goldenen Spatz), „Deine Schönheit ist nichts wert“ (Kino, 2012, ausgezeichnet u. a. mit dem Türkischen Filmpreis, dem Österreichischen Filmpreis) u. v. a.

Viele Szenen vom „Tatort – Siebte Etage“ wurden an einem Originalschauplatz gedreht, im siebten Stock eines Kölner Eroscenters. Wie kann man sich die Dreharbeiten vorstellen – lief der Betrieb auf den anderen Etagen weiter?

Tatsächlich wurden alle Szenen, die in einem „Laufhaus“ spielen sollen, auch in einem echten „Laufhaus“ gedreht. Das sind dann 2/3 der Drehzeit unseres Tatorts gewesen. Und ja, in den ersten drei Etagen liefen noch die Arbeiten der Damen weiter, während wir im obersten Stockwerk gedreht haben. Es gab nur einen kleinen Fahrstuhl, mit der die Technik, aber auch die Frauen im Team hochgefahren sind. Denn tatsächlich ist man im Treppenhaus immer wieder Freiern begegnet. Und das Überraschende war... denen hat es nichts ausgemacht, dass wir im Haus waren. Die sind ihre Runden gegangen, einige haben gegrinst, andere haben dann doch verstohlen auf den Boden geschaut. Einige junge Männer waren schon gleich um zehn Uhr, als sie ihre Tore aufgemacht hatten, vor der Tür...

Im Fokus des Films stehen die Frauen, die auf der siebten Etage arbeiten und hier unterschiedlichen Tätigkeiten nachgehen – von der Leiterin des Nagelstudios und der Hairstylistin über die Reinigungskraft bis hin zu den Prostituierten. Wie würden Sie die Gemeinschaft der Frauen untereinander beschreiben?

Das Autorenpaar Eva und Volker A. Zahn haben ungemein lange und intensiv recherchiert. Vor allem Eva Zahn lag das Projekt sehr am Herzen. In ihren Recherchen haben sie diese „Parallelwelt“ über die Arbeit als Sexarbeiterin hinaus entdeckt. Eine eigene Etage, wo die Frauen kurze Wege haben, um sich für die Arbeit zurecht zu machen. Wo die Frauen zusammenkommen, sich austauschen, aber auch hier und da über Probleme geredet wird und es Zoff gibt.

„Schätzungen gehen davon aus, dass täglich mehr als eine Million Freier in Deutschland Prostituierte in Anspruch nehmen“, sagt die Ethikforscherin Prof. Elke Mack von der Uni Erfurt. Trotzdem bleibt das Aufsuchen eines Bordells ein Tabuthema. Setzt der Kölner Tatort hier mit „Siebte Etage“ ein Zeichen?

Dieser „Tatort“ soll ganz klar den Frauen hinter diesen Türen eine Stimme und ein Gesicht geben. Sie sind unglaublich gute Schauspielerinnen, erzählen den Männern genau, was sie hören wollen, und die Männer lassen sich in diese Geschichten hineinziehen. Die Männer fühlen sich besonders. Mächtig, unwiderstehbar. Letztendlich sind sie aber nur die nächsten sechzig Euro, die die Frauen abkassieren. Nicht mehr, nicht weniger... Und genau, dem Geschäft und den Stimmen hinter dem Geschäft wollten wir einen Raum geben.

Im Film gibt es drei Monologe, ähnlich wie in einer Theaterinszenierung. Jasmin, Tani und Cosima sprechen direkt in die Kamera. Warum haben Sie dieses Stilmittel gewählt?

Diese Monologe hat die Autorin Eva Zahn bewusst ausgesucht und eingebracht, um das Format „Film“ radikal zu brechen. Es macht die vierte Wand zu den Zuschauern auf, und aus Beobachtern werden plötzlich Mitwissende. Und die Schauspielerinnen spielen das so stark, dass wir die Hoffnung haben, dass Männer wirklich das Leben hinter den Augen, die sie da direkt ansprechen, sehen!

Durch die Kameraführung nimmt man immer wieder auch den Blick eines potenziellen Freiers ein. Aus welchem Grund wurde diese Perspektive gewählt?

Es ist ein Teil der inszenatorischen Auflösung, die ich gemeinsam mit meinem Kameramann Lukas Gnaiger gewählt habe. Nicht nur, dass die Frauen direkt in die Kamera reinschauen und die Zuschauer mit hineinziehen, die Zuschauer gehen auch als Freier durch den Flur, werden von den Frauen angesprochen, angelächelt, verführt und verfallen wieder ihrem Spiel. Es ist wie ein Teufelskreis. Weder die Frauen kommen da raus, die sich an das „leichte“ Geld gewöhnt haben, noch die Männer können aufhören, die Frauen dafür zu bezahlen, damit ihre Lust befriedigt wird.

Eine andere Szene: In sehr rascher Schnittfolge werden männliche Körper beim Orgasmus gezeigt und dann der Körper des Mordopfers in der Pathologie. Warum diese extreme Gegenüberstellung?

Wir wollten bewusst die Sexszenen nicht erotisieren. Der Akt an sich wird nicht gezeigt, geschweige denn eine nackte Frau. Darum geht es in diesem Film auch nicht. Es geht um die Sicht der Frauen. Und auch diese Szenen sind so gedreht! Wie die Männer voller Gier in die Kamera schauen, sich als großes und starkes Alphatier fühlen, während sie aber beliebig austauschbar sind. Denn wenn sie am Ende ihren Orgasmus haben, fällt der Vorhang und die Show ist vorüber. Dann ziehen sie alle ihre Unterbuxen wieder an und müssen den Raum für den Nächsten verlassen.

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