Gespräch mit Produzent Tim Gehrke
„Der Usedom-Krimi“ feiert in diesem Jahr Jubiläum – als erster von drei neuen Filmen wird der 20. Film „Friedhof der Welpen“ im Herbst gezeigt. Wie ist Ihr Fazit nach fast zehn Jahren Dreh, woran denken Sie besonders gern zurück?
Die Hauptaufgabe des Produzenten ist ja weniger zurückzudenken, sondern zwei Jahre im Voraus zu antizipieren, was in einer Serie oder Reihe passieren muss. Welche Mitglieder des Ensembles wollen aufhören und müssen rausgeschrieben werden, wie kann man die Protagonistin Katrin Sass weiterentwickeln und herausfordern, und welche ganz profanen logistischen Probleme kommen auf einen zu? Aus dieser Gemengelage entwickeln sich mit der Redaktion und den Autoren Ideen für neue Geschichten und man dreht das Ganze im wahrsten Sinne des Wortes ein kleines Stück weiter. Wenn man dann im Laufe der nächsten drei Jahre bis zur Ausstrahlung merkt, dass von vielen Seiten noch ganz viel dazu gekommen ist, dass so eine Reihe und die Teams, mit denen man arbeitet, ein sehr lebendiger, ein quasi auto-poetischer Organismus sind, also das Ergebnis viel toller und eigenständiger geworden ist, als man sich ursprünglich vorgestellt hat, dann schaut man extrem zufrieden zurück. Da greift die Metapher vom „Kind zur Welt bringen“. So schaue ich auf die gesamten letzten zehn Jahre gern zurück. Also auf die Kindheit. Andererseits ist eine zehn Jahre alte Reihe in der heutigen Fernsehlandschaft bereits ein sehr altes Kind, aber ich freue mich, dass es noch mal in die Pubertät kommt, um im Bild zu bleiben. Und für die Pubertät würde ich mir wünschen: möglichst wild, Hormonschwankungen, möglichst unberechenbar und unbeschreiblich weiblich. Ob das in der heutigen Fernsehlandschaft noch finanzierbar und durchsetzbar ist? Wir werden sehen.
Mit mehr als sieben Millionen Zuschauenden hat die Ausstrahlung der Folgen im Herbst 2022 den Quotenrekord geholt. Worin liegt aus Ihrer Sicht der Erfolg der Reihe?
Die starke Frauenperspektive! Wir haben es mit einer Staatsanwältin zu tun, die ihren Kerl erschießt. Wir erzählen also einerseits die Lieblingserzählung der Deutschen nach Recht und Ordnung und lösen Kriminalfälle. Und gleichzeitig tun wir das ausgerechnet aus der Perspektive einer anarchischen Frau. Ich bin sehr glücklich und stolz, dass dieses Paradox so gut bei den Zuschauenden verfangen hat. Normalerweise hat der deutsche Zuschauer ja viel größere Probleme mit Protagonist*innen, die antagonistische Anteile haben. Das hat viel mit Katrin Sass zu tun. Katrin verkörpert viele liebenswerte Eigenschaften, die auf den ersten Blick paradox erscheinen. Wie Karin Lossow ist Katrin integer und aufmüpfig, tough und voller Sehnsucht. Katrin ist auch ein echter Star und gleichzeitig eine von uns, eine tolle Frau und ein echter Kumpel. Ich hatte mit Katrin vorher eine Serie gemacht und es war dann großartig zu sehen, wie sehr sie diese Figur Karin Lossow und die ganze Reihe zu ihrer gemacht hat. Ich denke, wir sind ebenfalls erfolgreich, weil wir auch andere Kontraste hervorheben: Das Urlaubsparadies Usedom erzählen wir im Winter – sehr kalt und morbide. Bäderarchitektur und Seebrücken stehen neben Plattenbauten, der industrielle Hafen von Swinemünde hat genauso seinen Platz wie die polnische Sprache. Das Grenzgebiet macht die Reihe klar lokalisierbar, selbst für Zuschauer, die noch nie auf Usedom gewesen sind. Diese Reihe spielt in der Provinz, ist aber durch den polnischen Teil und die Lage an der Ostsee weltoffen. Wir geben uns Mühe, mit den Widersprüchen des Lebens für die Figuren und die Geschichten zu arbeiten. Und dann wollten wir von Anfang an auch eine Familienserie sein, eine MutterTochter Geschichte erzählen. Auch wenn die Tochter und die Enkeltochter uns verloren gegangen sind, so ist der Gestus bis heute erhalten geblieben, wie ich hoffe. Insofern auch hier ein Paradox, ein Krimi, der sich manchmal schüttelt, einer zu sein, ein Krimi, der eine Familiengeschichte sein will. Auch das ist hoffentlich Teil des Erfolgs.
Und was ist denn an den aktuellen Jubiläumsfolgen Ihrer Meinung nach besonders gelungen und worauf sind Sie besonders stolz?
Ich finde, dass die drei Filme außerordentlich integer Usedom und die polnische Provinz zum Klingen bringen. Die Geschichten sind sehr roh und gleichzeitig sehr feinfühlig erzählt. Der Regisseur Grzegorz Muskala und der Kameramann Michal Grabowski sind ja beide auch mit der polnischen Weise des filmischen Erzählens groß geworden und haben dieses untrügliche Gefühl fürs Existenzielle. Es war von Beginn an die Verabredung, so wenig wie möglich zu schillern, im Sinne von vordergründig zu glänzen, das ist toll gelungen, und damit haben sie die Geschichten dann so richtig zum Leuchten gebracht. Wir haben in der Buchentwicklung mit Michael Vershinin und Dinah Marte Golch über alle drei Folgen eine stärkere Horizontale eingezogen als sonst üblich und können aus dem gleichen Material auch einen Sechsteiler, also eine Miniserie für die internationale Vermarktung schneiden. Das war eine gewagte dramaturgische Herausforderung und als Produzent bin ich stolz auf dieses Experiment. Und dann bin ich natürlich stolz, wenn großartige Kollegen wie Jörg Schüttauf für Filme wie diese zusagen oder ein Regisseur wie Andreas Herzog, der vor zehn Jahren den ersten Film auf die Beine gestellt hat, auch ein viertes Mal im Laufe der Zeit wiedergekommen ist. Es ist schön zu sehen, wer alles gern kommt, wenn es darum geht, den „Usedom-Krimi“ zu machen. Aber da geht es den Machern nicht anders als vielen Zuschauern, das liegt vor allem an Katrin Sass. Das ist nur ein ganz klein bisschen eine Lobhudelei auf meine Lieblingsschauspielerin nach fünfzehn Jahren gemeinsamer Arbeit, aber zu einem ganz wesentlichen Teil einfach der Alltag am Set: ihre Energie, ihr Spiel und ihre Persönlichkeit halten den Laden zusammen, und das gibt uns Gelegenheit, mit dem zufrieden zu sein und auf das stolz zu sein, was wir seit zehn Jahren auf Usedom zusammen machen.
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